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Schöne alte Frau

■ Gena Rowlands erwägt einen dritten Frühling im Debütfilm ihres Sohnes Nick Cassavetes: "Ein Licht in meinem Herzen"

Mildred trägt im Morgengrauen Zeitungen aus. Nicht daß sie, eine gut versorgte Mittelstandswitwe, das nötig hätte. Sie erledigt den Job ihrer Tochter, die wieder mal nicht aus dem Bett kam. Mildred (Gena Rowlands) ist eine gute Frau. Niemand dankt es ihr. Nicht daß sie das erwarten oder gar verlangen würde. Ihr schwerer Körper hüpft in der Dämmerung anmutig von Grundstück zu Grundstück. Mildred ist gut beieinander, um die 60 und immer noch eine schöne Frau. Ihr Alter ist ihr anzusehen, die Freude, die Schmerzen, die Klugheit. So würde man selbst gern altern.

Amy haßt. Weil sie es bisher nicht geschafft hat, für sich einzustehen, richtet sie ihren Haß auf ihre Mutter. „Du bist nicht erwachsen“, sagt Mildred zu ihrer Tochter. „Erwachsene sind Leute, die arbeiten und für sich selbst sorgen.“ Nach einem Streit verläßt Amy wütend das Haus.

Das ist zunächst eine Katastrophe, aber auch der Beginn eines Anfangs, von dem Mildred noch nichts weiß. Mildred, eine kultivierte, super-überorganisierte, gebildete Frau, findet sich allein in dem Haus, in dem sie einst ihren Mann bekocht und die Kinder aufgezogen hat. Sie hat Angst und zeigt die Angst nicht. Sie ist froh, als die Nachbarin Monica (Marisa Tomei), eine Arbeiterin mit schlampig blondiertem Haar und losem Mundwerk – ein „tough chick“ –, ihr für einen Tag den kleinen Sohn aufdrängelt.

Das Gesicht und die Poesie einer Hausfrau

Gena Rowlands ist eine Schauspielerin mit Gesicht, ihren Namen und den John Cassavetes' denkt man zwangsläufig zusammen. Ihr Leben lang hat Gena Rowlands Neuro- und Psychotikerinnen gespielt; jetzt macht sie sichtbar, was einer Hausfrau wie Mildred abgesprochen wird: Poesie, ein Anspruch auf sich selbst. Der Regisseur des Films, in dem Rowlands eine ihrer subtilsten Hauptrollen hat, ist ihr Sohn Nick Cassavetes. „Ein Licht in meinem Herzen“ erzählt nicht nur die Geschichte einer alternden Frau, die Story sich ergänzender Defizite und die von vielen Anmaßungen innerhalb einer Familie, sondern auch die Geschichte der Krise Amerikas.

Mildreds 50er-Jahre-Höflichkeiten beim Erntedankfest scheinen nicht mehr in die Gegenwart zu passen, und Mildred selbst paßt eigentlich auch nicht mehr in ein Stadtviertel, in dem Eltern ihre Kinder vergessen und betrunkene Ehepaare sich vor ihren Häusern anbrüllen, so daß es jeder hören kann. Immer ist Gefahr im Verzug; dünn ist die Decke normativer Übereinkünfte geworden. Monicas kleiner J.J. tut Mildred leid. Sie spricht und singt mit dem stillen Jungen, spielt Baseball und Klavier mit ihm, und später, als J.J. in der Schule aufgeholt hat, liest sie ihm aus dem Lexikon vor. Mildred, Rowlands Gesicht spiegelt das in jeder Szene, lebt gegen eine Auflösung an. Es wird Weihnachten, und Mildred verpackt Geschenke für Leute, die keine für Mildred haben.

Defizite: Monica besitzt zuviel von dem, was Mildred zuwenig hat – Überschwang, Zorn und eine gewisse Härte. In einer Trucker-Bar macht sie Mildred mit „Big Tommy“ bekannt. Noch nie hat mir Gérard Depardieu gefallen, aber wie er als Tommy Mildred in einem kurzen Moment „erkennt“ und Mildred sich in seinem Blick selbst erkennt, wie er sie fast ohne Worte ermutigt, nicht bloß eine nette Tante oder Oma zu sein, sondern eine Frau zu bleiben, ohne sie zu drängen oder zu berühren – diese Komik, diese Tragik machen alles gut. Von Miami erzählt Tommy, der Frankokanadier – er sagt „Mie-A-Mie“.

Keine Segnung von family values

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: „Ein Licht in meinem Herzen“ ist kein Film über die Segnungen der family values, wohl aber einer über das, was man vom Leben erwartet – mit 18 wie Amy, mit 25 wie Monica, mit 35 wie Mildreds Yuppie-Sohn Ethan oder mit Anfang 60 wie Mildred. Ethan und seine superschöne, super-überorganisierte Frau möchten, daß Mildred zu ihnen zieht, denn sie brauchen ein Kindermädchen. Ethan und seine Frau kommen gar nicht auf den Gedanken, daß ihre Mutter anderes vorhaben könnte. Einmal sieht Mildred beim gemeinsamen Essen über die Bucht von Sausalito; dieser Blick steht wie zwischen ihr und der verbleibenden Lebenszeit.

Warum, fragt man sich, wird eine so kluge, lebenserfahrene und schöne Frau wie Mildred so lausig behandelt, und warum will sie es so lange nicht bemerken? Alle außer Tommy gehen davon aus, daß Mildred kein eigenes Leben hat, weil sie im Leben anderer aufgeht. Am Ende verliert Mildred alles und gewinnt alles, indem sie die Verfügbarkeit beendet. Ein kurzes Durchatmen von Gena Rowlands malt Mildreds verborgene Angst: vital und ein bißchen bitter. Weggehen tut schön weh. Anke Westphal

„Ein Licht in meinem Herzen“. Regie: Nick Cassavetes. Mit Gena Rowlands, Marisa Tomei, Gérard Depardieu, Jake Lloyd. USA 1997, 107 Min.

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