piwik no script img

Benzinkanister in der Hand

In Langfilmen darf man so was nicht: Die Infernale, das bislang angenehmste Filmfestival in diesem Jahr, geht heute in die letzte Runde  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Großstadtsommer wunderbar! Tagsüber im Freibad; nachts draußen sitzen, Filme gucken. Zum Beispiel im Ruinengarten der HdK in der Hardenbergstraße. Noch bis zum 4. Juli zeigt dort das „Interflugs“-Büro der HdK das unabhängige studentische Filmfestival „Infernale“. 77 kleine Filme und Videos aus allen möglichen Ecken Deutschlands, aber auch aus Rußland, Frankreich und Dänemark wollen von vielen Menschen angeschaut werden.

„Interflugs“ ist ein vierköpfiges TutorInnen-Büro, das im Zuge der Studentenstreiks von 1988/89 gegründet wurde, interdisziplinär im Bereich mit dem schönen Namen „Autonome studentische Vorhaben“ (ASV) arbeitet, an interessierte StudentInnen Filmgerätschaften verleiht und dies und das und eben auch die „Infernale“ veranstaltet.

Sehr stimmungs- und gedankenvoll ist der Ruinengarten der HdK, wenn der Abend so allmählich Richtung Nacht geht. Wilder Wein wächst an Gebäudeteilen; in bunten Bonbonfarben leuchtet die Bar, und Bier an heißen Sommerabenden ist wunderbar. Am Rand der Bar steht ein Computer. Im Computer sind kleine Fenster, auf denen man „Latte“ und andere Männer mit komischen Namen sieht, die sich gerade im Internet Sätze zusenden und in ihren US- amerikanischen Zimmern die weltweite Internetübertragung des Festivals (http://www.iflugs.hdk- berlin.de) angucken können. Wo die Projektoren stehen, steht auch eine Kamera, vor die man sich stellen kann und Faxen macht und dann schnell zurückrennt zum Computer, um zu sehen, ob Latte und Genossen darauf schriftlich reagieren.

Im Vorprogramm legte D-Jane T-Ina auf – komisch, Techno als Beiprogramm ohne Tanzen zu hören. Am Donnerstag kamen „Schlagerknospen“, und am Freitag wird das lustig minimalistische Duo „Weber & Schuster“ mit einem „DJ-Feuilleton“ viel Freude machen.

Wenn man über kleine Filme schreibt, kann man sich eigentlich nur wiederholen: im Sinne des ästhetischen Vergnügens und der Vermittlung gegenwärtiger Wirklichkeitserfahrungen junger Künstler sind die „billigen“ Video-, Super-8- und ab und an auch 16-mm-Produktionen generell interessanter als etwa das sauber abgedichtete Kurzfilmprogramm, über das man sich Jahr für Jahr auf der Berlinale ärgert. Einige Studentenfilme haben jedoch auch ihre studentischen Probleme. Wie Hausarbeiten, die vor allem belegen sollen, daß ihre Verfasser in der Lage sind, „echte“ wissenschaftliche Arbeiten zu leisten, so wirken auch einige Studentenfilme eher wie Stilübungen auf dem Weg zum blöden richtigen Film. Kurzfilme, die ihr Genre nicht so richtig ernst nehmen, eine halbe Idee illustrieren und eher beliebig irgendwo anfangen, um irgendwo zu enden. Besonders deutlich wurde das am ersten, dem schwächsten Abend des Festivals.

Es bestätigte sich: Wenn's um Sex, Körper und das eigene Begehren geht, hört der Spaß auf und wirkt alles eher wie Sexabwehr. Die kleinen, wenn man so will: experimentellsexuellen Ideen – eine Frau malt mit ihren Brüsten ein Bild, eine Möse beim Pissen (aus der Birgit-Hein-Filmklasse, logisch), eine Frau muß viel fellationieren, um in der Kunstszene bestehen zu können – wären als Episoden in längeren Filmen interessant; in der Kurzform langweilen sie eher. Nur: In Langfilmen darf man so was ja nicht.

Die anderen Filmprogramme, in denen es um „Heimatfilm“ (am Mittwoch), Drogenstreifen und kleine Krimis ging, sind dagegen große Klasse, sehr zu empfehlen, bunt, einfallsreich, experimentell- dokumentarisch, wie Steffen Göweckes schönes Porträt einer alten Hotelbesitzerin im äußersten Westen Frankreichs, und vor allem auch lustig: Wenn Ralf Schuster in seinem minimalistischen Zeichentrickfilm „Einige Zahlen über Berlin“ mittels komplizierter Berechnungen herausfindet, daß es 121 Tage dauern würde, wenn sich die gesamte Berliner Bevölkerung hintereinander vom Fernsehturm herabstürzen wollte. Oder wenn zwei Männer mit einem Benzinkanister, den sie brauchen, um ihre Feuerzeuge zu füllen, ununterbrochen rauchend über die Dörfer gehen und sich in „großspurigen Sentenzen“ von Diderot unterhalten. Ein wenig erinnert „Benzin“ von Steff M. Adams an frühe Achternbuschfilme. Undeutlich schöne Nebelbilder und ein schelmischer Diderotwitz bleiben noch im Kopf. Das angenehmste Filmfest bislang in diesem Jahr.

Noch einmal heute, DJ's ab 20.30 Uhr, Filmvorführungen ab 22 Uhr, Hardenbergstr. 33

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen