: Und langsam kippt das Potsdam Center
Ein Gegenentwurf zur bisherigen Planung für das Potsdam Center zeigt, daß es auch anders geht: Die historische Stadt wird in neues Quartier miteingebunden. Entwurf liegt Unesco vor ■ Von Ansgar Oswald
Obwohl der Kompromiß zwischen der Unesco, der Stadt Potsdam und dem Land Brandenburg jede Bautätigkeit bis zum Abschluß eines neuen städtebaulichen Wettbewerbs am 30. September diesen Jahres untersagt, ruhen die Bauarbeiten am umstrittenen Potsdam Center nicht. Gebuddelt wird ausgerechnet am 300 Meter langen Bahnhofskomplex, im Zentrum des neuen Stadtquartiers. Das wurde aus dem Wettbewerb ausgeklammert.
Die Deutsche Bahn AG, die keine Bauverzögerung in Kauf nehmen wollte, hat einen eigenen Gestaltungwettbewerb durchgeführt. Doch der Entwurf der Architekten Gerkan, Marg und Partner kann trotz einer reichgegliederten Fassade die Monstrosität der Bauzeile in der sensiblen Umgebung nicht herunterspielen.
Unbekümmert aller Vereinbarungen erteilte Baudezernent Detlef Kaminski (SPD) Ende Mai für den Bauabschnitt eine vorgezogene Baugenehmigung. Die Baugenehmigungen wertet Saskia Hüneke, bündnisgrüne Gegenspielerin des Baudezernenten und Kopf der „Aktionsgemeinschaft für ein stadtverträgliches Potsdam Center“ als „rechtswidrig“. Denn bis dato fehle dem Gesamtprojekt jegliche „Planreife“.
Selbst das Innenministerium ordnet die Genehmigungen als rechtlich „unsicher“ ein. Bisher liege nur ein B-Plan-Entwurf vor. Der rechtskräftige Bebauungsplan „als Grundlage für die Erteilung von Baugenehmigungen“ muß die Kommune erst bis Ende 1998 vorlegen. Das Land, selbst durch die Landesentwicklungsgesellschaft Brandenburg mit dem Projekt investiv und finanziell verstrickt, macht sich stillschweigend zum Handlanger solcher Rechtsverstöße. Aus dem Innenministerium heißt es: „Kaminski kann nur durch die Stadtverordneten selbst gestoppt werden.“ Doch die läßt die Furcht, die Investoren und Finanziers – Deutsche Bahn AG und die Roland Ernst Unternehmensgruppe – könnten das Projekt mit Regreßforderungen in unbekannter Millionenhöhe hinschmeißen, beinahe jede Vorlage willig abnicken.
Auch finanziell ist die Neustadt am Bahnhof zum Roulettespiel geworden. Erst jüngst hatte die Kommune entschieden, dem Bau der über 40 Millionen Mark teuren innerstädtischen Entlastungsstraße (Ises) gegenüber der Bundesgartenschau und Theaterneubau von 1998 bis 2000 absolute Priorität einzuräumen. Ansonsten befürchtet man, drohe das gesamte Projekt zu kippen.
Die Ises sei „wesentlich für die gesamte Erschließung des Planungsgebietes und ermögliche damit erst die „Verwertung aller Baufelder“, heißt es in der Beschlußvorlage. Auf die Stadt kommen unvorhersehbare Kosten zu, denn die 85prozentige Kofinanzierung vom Land ist nicht garantiert und die Grundstückspoolgesellschaft hat bisher nur 4,7 Millionen Mark eingeplant. Die Aktionsgemeinschaft sieht darin ein Fiasko. Statt Flickschusterei an einem Vorhaben, das sich nur an der Bauauslastung orientiere, glaubt Hüneke, daß es an der Zeit ist, das Projekt komplett neu zu planen.
Da kommt der Gegenentwurf unter dem Titel „Innere Peripherie“ aus der Technischen Universität Berlin gerade gelegen. Die Diplomarbeit von Petra Konrad und Raoul van Geisten setzt anstelle eines auswuchernden Bahnhofskomplexes südlich der Bahnlinie in der Teltower Vorstadt eine kompakte Bebauung für Handel, Dienstleistungen und Gewerbe. Südlich davon sind Einrichtungen der Universität vorgesehen. Die denkmalgeschützte Speicherstadt bleibt – entgegen der jetzigen Utopie für einen Kongreß- und Messestandort –, Wohnen und Dienstleistungen vorbehalten. Die Neubauten verteilen sich locker am Havelufer und gehen in einen Festplatz über.
Die Bebauung nördlich der Bahntrasse beschränkt sich auf einen Keil, der den Bahnbereich mit dem Plattenbaugebiet Zentrum- Ost vernetzt. Die Lange Brücke wird auf ihr altes Niveau gesenkt, während im Gegenzug die Bahntrasse über den Verkehrsknotenpunkt Leipziger Dreieck geführt wird. Damit soll die „klassische Glastonne“ des Bahnhofs als Wahrzeichen der Teltower Vorstadt die Stadtsilhouette mitprägen. Altstadt und Bahnhofsviertel verbindet ein ausgedehnter Stadtpark anstelle der beim Potsdam- Center vorgesehenen Verbauung.
Statt eines chaotischen Tram- Kreisverkehrs, der das Quartier des Potsdam Centers vom öffentlichen Nahverkehr abschneidet, bietet der Alternativentwurf eine einleuchtende Lösung. Wer am Bahnhof aussteigt, betritt am westlichen Kopfende des Bahnhofs die Tram und fährt mit Blick auf die Stadt, wie gehabt, entweder Richtung City oder in die südlichen Wohnbezirke. Neu ist, daß ein zweiter Tramarm entlang der Bahnlinie ins Zentrum-Ost und weiter nach Babelsberg führt. Damit ist der Zentralbahnhof funktional mit allen großen Stadtgebieten verwoben.
Auf die Ises verzichtet der Alternativentwurf gänzlich. Dafür wird der übrige Verkehr auf den vorhandenen Straßen aus der Innenstadt rausgehalten.
Für den Altstadtkern sieht auch der Alternativentwurf eine Rekonstruktion auf dem alten Stadtgrundriß vor, aber nicht auf historisierende Weise. Das sich östlich an den Alten Markt anschließende Neubaugebiet aus den 60er Jahren wird „als Qualität verstanden und als städtebauliches Dokument der Nachkriegsjahre erhalten“, so Konrad und van Geisten.
Groteskerweise setzt der Entwurf die von Potsdams Stadtbaudirektor Richard Röhrbein vielzitierten Leitgedanken konsequent um: „Orientierung am Grundmuster der historisch gewachsenen Stadt und Ausnutzung der Flächenpotentiale für die Innenverdichtung“. Zugleich bietet der Entwurf Raum für weitläufige Grünflächen in der City. Der Potsdamer Architekt und Mitstreiter Hünekes, Günther Vandenhertz, reagierte spontan: „Die beiden Studenten zeigen uns, wie die Stadt als Ganzes unter Einbeziehung der Kulturlandschaft und mit der notwendigen Großzügigkeit entwickelt werden muß.“
Die Aktionsgemeinschaft hat die Pläne inzwischen an sämtliche Fraktionen und an die Unesco verschickt. „Der Alternativentwurf“, so hofft Hüneke, „könnte zum Umdenken führen.“
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