Polizisten sind oft genug Rassisten

■ Amnesty international dokumentiert erneut Fälle rassistischer Übergriffe deutscher Polizisten. Wer als Beamter Ausländer mißhandelt, muß in den seltensten Fällen mit strafrechtlichen oder disziplinarischen Folgen rechnen

Bonn (taz) – Wenn deutsche Polizisten im Verdacht stehen, Ausländer mißhandelt zu haben, dann mahlen die Mühlen der Justiz besonders langsam. Dieses Fazit zieht der neueste Bericht über polizeiliche Übergriffe in der Bundesrepublik, den gestern amnesty international (ai) in Bonn vorlegte. Ermittlungen der Staatsanwaltschaften würden „oft verschleppt“ und in vielen Fällen nicht gründlich und unparteiisch durchgeführt.

Seitdem amnesty 1995 ihren ersten Bericht vorstellte, habe sich der Eindruck verfestigt, daß es sich bei den Übergriffen keinesfalls um „isolierte Einzelfälle“ handele. Das sagte gestern der ai-Deutschland-Ermittler Michael Butler in Bonn. Bei Festnahmen oder im Polizeigewahrsam würde den Opfern in vielen Fällen unverhältnismäßig Gewalt angetan. Zum Teil würden sie sogar vorsätzlich grausam, unmenschlich oder erniedrigend behandelt.

Der jüngste ai-Bericht listet mehr als 40 neue Fälle aus den vergangenen zwei Jahren auf. In der überwiegenden Zahl handelt es sich dabei um Ausländer oder deutsche Staatsbürger ausländischer Herkunft, die von Polizisten mißhandelt worden sein sollen. Es sei daher anzunehmen, so Butler gestern, daß die Beamten vielfach aus rassistischen Motiven gegen ihre Opfer vorgingen.

Anzeigen wegen Körperverletzung gegen Polizeibeamte werden nach Schätzungen von ai in rund 95 Prozent der Fälle von den Staatsanwälten wieder eingestellt. Als ein Beispiel aus jüngster Zeit zitiert ai den Fall eines Deutschen türkischer Abstammung, der im Sommer 1996 in Berlin in seiner Wohnung von Beamten schwer geschlagen wurde. Er hatte sich dagegen verwahrt, daß die Polizisten keinen Dursuchungsbefehl vorweisen konnten. Der Mann, dessen Verletzungen medizinisch belegt sind, steht jetzt unter Anklage, unter anderem wegen Widerstands und Körperverletzung. Das Verfahren gegen die Beamten wurde eingestellt. Erstmals dokumentiert werden auch die juristischen Konsequenzen aus 20 Fällen, über die ai 1995 berichtet hatte. Die Bilanz fällt ernüchternd aus. In der Regel konnten sich Polizisten einer strafrechtlichen oder disziplinarischen Verantwortung entziehen.

Negativ ist auch die Bilanz für die Opfer. Keines erhielt eine Entschädigung für vorangegangene Mißhandlungen. Berichterstatter Butler war gestern bemüht, der stets wiederkehrenden Kritik an den ai-Berichten, inbesondere von seiten der Polizeigewerkschaften, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nicht zu leugnen sei, daß die Beamten in manchen Situationen Gewalt anwenden müßten. Zugleich seien die Behörden aber verpflichtet, vorsätzliche Mißhandlungen oder unverhältnismäßige Gewalt zu unterbinden. Ausdrücklich berief sich amnesty auf eine im Frühjahr 1996 veröffentlichte Studie „Polizei und Fremde“, die von der Innenministerkonferenz der Länder in Auftrag gegeben worden war. In dieser wird festgestellt, daß Polizisten verstärkt einem Antidiskriminierungstraining unterzogen werden müßten. Severin Weiland

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