: Der Neue soll's richten
■ Philippe Séguin muß Frankreichs Neogaullisten aus dem Chaos führen
Paris (taz) – Philippe Séguin ist ein bulliger Typ, mit einer sonoren Stimme, der streitende Parlamentarier zur Ruhe bringen kann, und mit einem Patriotismus, der Bonner Christdemokraten angst macht. Seit Sonntag ist er oberster Neogaullist und damit nicht nur Nachfolger von Alain Juppé und Jacques Chirac, sondern auch wichtigster Mann der französischen Rechten. Gewählt wurde der 54jährige mit knapp 79 Prozent. Die Delegierten des Sonderparteitags der RPR, die fünf Wochen nach den Wahlen Konsequenzen aus der schweren Niederlage zogen, hatten keine ernstzunehmende Alternative.
Séguin war schon in der Woche zwischen den beiden für die Neogaullisten fatalen Urnengänge als Retter in der Not auf die Pariser Bühne geholt worden. Für den unwahrscheinlich gewordenen Fall eines Wahlsiegs sollte er den unpopulären Technokraten Juppé als Premierminister ablösen.
Seit der Wahlniederlage war Séguins Siegeszug nicht mehr aufzuhalten – und alle notdürftig zugeschütteten Gräben in der Bewegung brachen wieder auf. Jene, die sich vor zwei Jahren für einen Staatspräsidenten Edouard Balladur stark gemacht hatten, kämpften erneut gegen die Anhänger Chiracs, die Maastricht-Befürworter beschimpften die Euroskeptiker, und die Sozialdemokraten die rechten RPRler.
Mehrere Wochen lang versuchte der geschlagene Juppé in diesem Chaos seinen Vorsitz zu verteidigen – bis er einsah, daß er weichen mußte. Am Sonntag nahm er gerührt den Beifall entgegen, obwohl der mehr die Erleichterung über seinen Abgang als den Dank für seine Arbeit ausdrückte. Dann kam Séguin, der seit dem Beginn der Ära Juppé in den Startlöchern gesteckt hatte.
Denn bei den Neogaullisten galt der Ex-Berater des verstorbenen Präsidenten Georges Pompidou, Ex-Arbeitsminister unter Premierminister Chirac, Ex-Kampagnenchef für ein Nein zu den Maastrichter Verträgen, Ex-Parlamentspräsident und langjährige Bürgermeister der Kleinstadt Epinal stets als einzig mögliche Alternative zu Juppé. Über eine Stunde lang sprach Séguin über den nötigen Schulterschluß der Neogaullisten, über „Mutation“ und „Metamorphose“ der Bewegung, die er in die Wege leiten will, und über die Möglichkeiten, die an die Rechtsextremen verlorenen Schäfchen doch wieder zurückzuholen.
Séguin ist ein Neogaullist mit vielen Facetten. So ist von seiner Kampagne gegen Maastricht nur noch eine schwache Kritik an der Europapolitik übriggeblieben. Séguin, der sich oft demonstrativ an die Seite von gegen Juppé streikenden Arbeitern gestellt hat, will jetzt vor allem mehr Soziales. Und zu Deutschland, dessen „Diktat“ er früher brandmarkte, sagte er auf seiner Parteitagsrede, daß die „Fortsetzung der Aussöhnung“ Grundlage jeder weiteren französischen Außenpolitik sei.
Der Basis war Séguins Auftritt recht. Dem gegenwärtigen Bewohner des Elysee-Palastes und RPR- Gründer Chirac, dessen Farbfoto über dem Parteitag hing, dürfte es mulmig werden. Die Ambitionen von Séguin auf die Staatspräsidenz sind bekannt. Dorothea Hahn
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