: Alles wie gehabt
■ Nordirland: Blair gehorcht der Logik der Gewalt
Die Labour-Regierung hat die erste Gelegenheit genutzt, um in Nordirland kläglich zu versagen. Wenn überhaupt noch etwas von dem Friedensprozeß übrig war, dann haben Tony Blair und seine Nordirland-Ministerin Marjorie Mowlam diesen Rest nun vernichtet. Ihre Entscheidung, den Oranier-Orden am Sonntag durch die katholische Garvaghy Road in Portadown marschieren zu lassen, war eine Fehlentscheidung, die böse Folgen haben wird.
Denn die Auseinandersetzungen in der vorgestrigen Nacht waren wohl nur ein Vorgeschmack auf die kommenden Wochen. Die politische Verantwortung dafür liegt bei Blair und Mowlam, auch wenn die Ministerin beteuert, der nordirische Polizeichef habe die Entscheidung getroffen. Eine lächerliche Behauptung. Wenn das so wäre, könnte Blair in der Krisenprovinz abdanken und sein Nordirland-Ministerium dichtmachen.
Es war aber nicht so. Der Beschluß, dem Säbelrasseln der Oranier nachzugeben, wurde von Blair gefaßt. Es hieß, man habe sich dabei von der Drohung loyalistischer Terroristen beeinflussen lassen, wahllos Katholiken in der Republik Irland umzubringen. Eine verblüffende Logik, die man auch umkehren kann: Wenn die IRA jetzt ein paar Massaker anrichtet, müßte die Parade von Portadown im nächsten Jahr verboten werden, damit die IRA nicht wieder zuschlägt. Daß die IRA seit Sonntag nachmittag wieder starken Zulauf hat, steht außer Frage.
In den katholischen Ghettos Nordirlands hatte man nach den Wahlen im Mai große Hoffnungen auf die Labour- Regierung gesetzt. Vor kurzem noch war Mowlam dort spazierengegangen, hatte Hände geschüttelt und Leute umarmt. Ein kurze Freundschaft. Nun kann sie sich dort nicht mehr sehen lassen. Einen Moment lang sah es so aus, daß sich endlich mal eine britische Regierung mit der protestantischen Mehrheit anlegen würde – denn anders ist eine dauerhafte politische Lösung nicht vorstellbar. Dann stellte sich heraus, daß Mowlam eine Woche lang falsche Fährten gelegt, die Medien und die Beteiligten irregeführt hatte – ganz zu schweigen von der irischen Regierung, die sich verständlicherweise brüskiert fühlt. Also alles beim alten. Genauso hatte es Labour gemacht, als die Partei zuletzt in den Siebzigern an der Macht war. Ralf Sotscheck
Bericht Seite 8
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