■ Vorschlag: Haydns „Infedeltà delusa“ in der Neuen Opernbühne Berlin
Filippo ist schon ein rechter Fiesling. Aus purer Geldgier will er seine Tochter Sandrina mit dem eitlen Nencio verheiraten. Dabei liebt Sandrina nur den redlichen Tölpel Nanni. Aber zum Glück gibt es da noch die gescheite Vespina, die durch eine wahre Verkleidungsorgie die Liebenden zusammen und alles wieder ins Lot bringt.
Kennen wir schon? Kennen wir schon. Tyrannische Väter, enttäuschte Liebhaber und als Notare verkleidete Intriganten sind die Grundausstattung der komischen Oper. Haydns halbvergessenes Werk „L'Infedeltà delusa“ (“Die vereitelte Untreue“) von 1773 hebt sich von der Masse dadurch ab, daß die stereotypen Figuren zumindest an einigen Stellen individuelle Züge zeigen. Sandrinas Liebesklage und die Trauer der verlassenen Vespina über Nencios Treulosigkeit kommen auch musikalisch nicht so leichtfüßig daher wie die übrigen Partien.
In der Inszenierung der Neuen Opernbühne Berlin sind die Sänger wie Marionetten ausstaffiert. Sandrina (Itziar Real) trägt Rattenschwänze und Käthe-Kruse-Kleid, Nanni (Jörg Gottschick) eine Art Strampelanzug, und der Koreaner San-Ky Kim, der den Filippo spielt, seltsamerweise einen chinesischen Zopf. Nanni und seine Schwester Vespina, die Unterprivilegierten, hausen im Puppenslum, Sandrina und ihr Vater in einem zwergenhaft niedlichen Kiosk. Nencio (Mark Adler) gibt den dörflichen Popstar. Seine Ansteckblume hält er wie ein Mikrophon, und die Musiker des hervorragenden Ensemble Oriol tragen den gleichen gelben Angeberschal wie er.
Durch überbetonte Künstlichkeit will der Regisseur Alexander Paeffgen die fremdartige Oper dem Publikum nahebringen. Aber Verfremdung ruft oftmals nichts hervor als Gleichgültigkeit. Vater Filippo kommt zwar ausgesprochen heimtückisch daher: Er fesselt die Tochter und verpaßt ihr – hinter dem Rücken der anderen – sogar einen Fußtritt. Und doch spielt und spricht er so überdreht, daß er weder komisch noch bedrohlich erscheint. Am gelungensten sind die Auftritte von Christine Wolff, die als Vespina in die Rollen einer verrückten Alten, eines besoffenen Dieners, eines Marquis und eines Notars schlüpft. Wenn das Orchester klangmalerisch das Keuchen und Husten der falschen Greisin imitiert, entfaltet sich Haydns musikalischer Witz. Die Regie-Gags dagegen zünden nicht recht – weder eine Einlage in penetrantem Sächsisch noch die gewaltsame Entführung des Dirigenten Sebastian Gottschick vom Orchester. Die Musik aber tröstet zuverlässig über die Überdosis Klamauk hinweg. Miriam Hoffmeyer
Heute und morgen jeweils 20 Uhr im Kesselhaus der Kulturbrauerei, Knaackstr. 97, Prenzlauer Berg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen