: Die Wismut: Ordnung machen, wo einem der Berg auf den Kopf fällt
Übriggeblieben vom Uranabbau in der DDR sind radioaktiv verseuchte Gegenden über Tage, altgediente Bergleute ohne Arbeit und jede Menge Löcher unter Tage. Die zu säubern, zu fluten oder aufzufüllen, ist der Job der letzten Wismut-Belegschaft. Ihre Arbeit reicht noch für zehn Jahre. Aber sie ist gefährlich – so wie früher ■ Von Marco Limberg (Fotos) und Bascha Mika
Bei Lichtloch 13 geht's unter Tage. Den Schacht bemerkt man kaum. Irgendwo in der zerschrundeten Landschaft steht ein Schuppen herum, da führt der Weg hinein und dann hinunter – in ein kaum zwei mal zwei Meter breites Loch. Schwaches, gelbliches Licht glimmert darin, eine Leiter ragt heraus. Auf ihr geht's abwärts. Bis zu einem fünf Meter tieferen Absatz. Einen Schritt nach rechts, weiter abwärts auf der nächsten Leiter. Die Sprossen sind verschmiert und glitschig. Zweiter Absatz. Wieder nach rechts, abwärts, Absatz. Abwärts, Absatz. Abwärts, abwärts ... in halbdunkle Kälte, auf vierzig Meter Tiefe. Dann den Gang entlang. In forschem Schritt. An klammen Wänden entlang. Obersteiger Siegfried Geyer und zwei seiner Kumpel sind auf Inspektion.
Nach hundert Metern öffnet sich der Steig zu einer kleinen Höhle. Die zwei Meter hohe Decke ist mit dicken Brettern verschalt und von kräftigen Stempeln gestützt.
Das ist „Abbau Olga“. Ein Zipfel der Wismut – des ehemaligen Uranbergwerks im Erzgebirge.
Mein Name ist Großer, Karl- Heinz. Ich war 44 Jahre bei der Wismut. Erst als Fördermann, dann als Geologe. 1990 ging ich in Rente. Im selben Jahr war auch Schluß mit dem Uranabbau.
Als ich mich 1946 beim „Schneeberger Bergbau“ – so hieß die Wismut damals noch – gemeldet habe, da war ich zwanzig. Es gab wenig Werkzeug, keine Arbeitskleidung und kaum Fachkräfte. Nur die paar Bergleute, die von den Silbergruben übriggeblieben waren; dazu kamen die aus der Steinkohle bei Zwickau und die aus der schlesischen Kohle. Das leitende Personal waren alles Russen, der Schachtleiter war russischer Offizier.
Ich hab' damals schon acht Mark für die Schicht bekommen; als Schlosser verdiente man dagegen nur 48 Pfennig pro Stunde.
Abbau Olga ist eine ordentliche kleine Grotte. Die Balken sind neu, aller Schutt weggeräumt. Wie viele andere Hohlräume ist Olga von den alten Sohlen und Gängen des Bergwerks aus nicht mehr zu erreichen. Sie muß von über Tage mit einem kleinen Schacht, einer sogenannten Untersuchungsgesenke, erkundet werden.
Als die Wismut 1990 stillgelegt wurde, fand der neue Besitzer, das Bundeswirtschaftsministerium, 56 Schächte und 1.400 Kilometer offene Grubenbaue vor, die sich auf einer Fläche von 110 Quadratkilometern ausdehnten. Mehr als drei Viertel davon wurden in den letzten Jahren bereits zugestopft und teilweise geflutet.
Siegfried Geyer und seine Kollegen leuchten mit ihren Grubenlampen Wände und Decken aus und palavern in Bergmann-Latein. Geyer leitet die untertägigen Sanierungsarbeiten bei der Wismut. Denn „Altlast Wismut“ bedeutet nicht nur radioaktiv verseuchtes und chemisch vergiftetes Gelände über Tage, sondern auch durchfressene und zerlöcherte Erde unter Tage.
Die Höhle bei Abbau Olga stammt aus den vierziger Jahren. „Uran um jeden Preis!“ war die Devise der Russen nach dem Krieg, und das bekamen sie aus der Wismut. Dort wurde geschürft auf Teufel komm raus; wo ein Gang nichts mehr brachte, wurde ein neuer Schacht geteuft, ein neuer Stollen gegraben. War der Berg erst einmal ausgeraubt, ließ man ihn zerwühlt zurück: ein weitverzweigtes Netz von Stollen, Strecken, Schächten und Kammern.
Wir wußten, daß das Uran in die Sowjetunion abtransportiert wurde. Und wir wußten, warum die das haben wollten. Die rasante Entwicklung kam 1947. Da war es hier wie bei den Goldgräbern. Jede Menge Männer wurden dienstverpflichtet.
In den Jahren darauf war es total chaotisch, das waren die wilden Jahre der Wismut. Die ganze Region war Sperrgebiet. Da war 'ne Schranke davor und ein Kontrollposten. Die Leute, die hier wohnten, hatten einen Stempel im Ausweis, und die von außerhalb brauchten eine Einreisegenehmigung. In der DDR hat die Wismut immer eine besondere Rolle gespielt. Sie war ein Staat im Staate.
Wieder über Tage. Mit dem Kleinbus zu Lichtloch 15. In Schacht 15 IIb mit dem Förderkorb auf 47 Meter Tiefe. Dann die Schienen entlang. Hunderte und Hunderte von Metern im dämmrigen Licht der Grubenbeleuchtung. Ab und an glitzern Nässe und winzige Kristalle an den dunklen Wänden. Daß hier Uran abgebaut wurde, sieht man nicht; es hätte auch Kohle oder Silber sein können. Nächste Station von Geyers Inspektionstrupp: der Jungkönig- David-Flügel.
Was die früheren Grubenbetreiber in ihrer Gier nach Uranpechblende verschlampten, müssen jetzt Obersteiger Geyer und 115 Kumpel tun: den Berg sanieren. „Verfüllung und Verwahrung“ heißt das im Fachjargon. Wie eine Leiche, die man sauber wäscht und hübsch anzieht, bevor man sie begräbt, werden die Grubenbaue zunächst von Dreck und Giften gesäubert, bevor man sie mit Gestein oder Beton zuschüttet. Anschließend werden sie geflutet. Damit die Erde nicht einbricht, das Grundwasser geschützt wird und das radioaktive Gas Radon sich nicht weiter in den Kellern und Wohnungen der umliegenden Ortschaften breitmacht.
Es war nicht erwünscht, das Wort „Uran“ zu benutzen. Es hieß allgemein „Erz“. Was das genau war, darüber hat man sich wenig Gedanken gemacht. Das war eben Erz und damit basta. Strahlung? Sicher, das Problem hat es schon gegeben. Es war bei allen bekannt, daß das nicht ganz unschädlich ist. Aber Angst hat keiner gehabt.
Die Gummistiefel spritzen durch tiefe Pfützen. Ein riesiger Ventilator pumpt frische Luft unter die Erde. Ein Bergmann steht am Ende einer engen Einbuchtung; mühsam schlägt er mit einer Eisenstange lose Gesteinsbrocken von der Wand. „Vorwiegend machen wir hier alles mit Muskelkraft“, grinst Hauer Schreier, der seit 31 Jahren bei der Wismut ist und ein Gesicht hat wie ein realsozialistisches Arbeiterstandbild. Hier darf nicht gesprengt werden, das Zeug ist zu weich. Der Stollen war bereits zugeschüttet, aber so dilettantisch, daß er wieder aufgemacht und neu gefüllt werden muß.
Siegfried Geyer kontrolliert regelmäßig alle Sanierungsstellen.
Hinter einer Biege fängt es leise an zu dröhnen. Lauter und lauter. Es bullert, es kreischt. Bis das Trommelfell sich weigert, das weitere Ansteigen des Lärmpegels zu registrieren. Das Höllenspektakel dringt aus einer Seitenstrecke. Ein kleiner Bagger, handlich wie ein überdimensioniertes Matchbox- Modell, robottet im Schutt. Mit abgehackten Bewegungen schiebt er sich das Gestein auf die Schaufel, rappelt und ruckt auf seinen Schienen wie ein widerborstiger Esel und schmeißt seine Ladung hinter sich auf einen Wagen, den Hunt. „Glück auf!“ brüllt der Kumpel, der das Maschinchen bedient.
Die ersten Jahre waren von den gesundheitlichen Bedingungen am schlechtesten. In dieser Zeit haben sich die meisten Leute ihre Krankheit weggeholt. Vor allem Lungenkrebs. Das hängt viel mit dem Trockenbohren zusammen, das damals noch üblich war. Wenn man den Silikonstaub eingeatmet hat, waren ja automatisch auch Uran-Partikelchen dabei. Dann findet der Zerfall im Körper statt, und das ist das Gefährliche.
Bei dem Radon-Gas aber ist es eine Frage der Verdünnung. Viele Gifte werden stark verdünnt als Arznei verwendet. So ist das auch bei Radon. Darum ist die Hysterie, die nach der Wende wegen dem Radon über Tage gemacht worden ist, unsinnig. Viel gefährlicher war, wenn Gestein aus dem Berg zum Häuserbau verwendet wurde und da noch Erz dazwischen war.
Bei Querschlag 31 tauchen zwei Lichter am schummrigen Ende des Ganges auf. Quietschend schieben sie sich näher. Dann saust eine gelbe Lok, im Miniformat wie der Bagger, auf den Schienen vorbei. Mit eingeklappten Knochen hockt der Lokführer vorne drin. Für ihn ist heute Schluß mit der Schicht.
Die wenigen Kumpel, die heute noch unter Tage arbeiten, heißen nicht mehr Bergleute, sondern „Sanierungsarbeiter“. Sie werden noch knapp zehn Jahre mit den Aufräumungsarbeiten beschäftigt sein. Das größte Problem sind die Hohlräume, die sich nur wenige Meter unter der Erdoberfläche befinden. Wie Abbau Olga oder der Jungkönig-David-Flügel.
Alles, was in dieser Region nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist, kam durch die Wismut. Ob Clubhäuser, Sportstätten, Schwimmhallen – es gab nichts, woran das Bergwerk nicht beteiligt war. Die Wismut hat für das Erzgebirge Wohlstand gebracht. Und jetzt kommt die Armut zurück.
Der Hohlraum in Stollen 35 sieht aus, als wäre eine Bombe fünfzig Meter tief in die Erde gedrungen. Die Decke ist herabgebrochen, Steinbrocken und zerborstene Hölzer sind ineinander verkeilt und verbarrikadierten den Zugang. Einen Bagger oder Schrapper kann man hier nicht einsetzen. Die Kumpel schuften wie früher mit der Schaufel.
„Die Sanierungsarbeiten“, sagt Obersteiger Geyer, „sind oft gefährlicher und komplizierter als früher der Abbau.“ Wer hier Ordnung schaffen will, muß damit rechnen, daß ihm der Berg auf den Kopf fällt.
Jeder, der in der Wand gearbeitet hat, hing irgendwie an der Sache und dem Betrieb. Sie müssen die Politik und das Bergarbeiterbewußtsein voneinander trennen. Sicher hat's überall Ecken und Kanten gegeben, aber das vergißt man über dem Erfolg. Die Liebe zum Beruf, die Arbeit da unten – das ist der Stolz der Leute gewesen und ist es noch heute.
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