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Phantomreisen ins EU-Parlament

Viele Europaabgeordnete tricksen das Vergütungssystem aus und erschummeln sich ansehnliche Zulagen. Trotzdem hat die Forderung der Grünen nach mehr Kontrollen wenig Chancen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Per Gahrton möchte endlich weniger Geld bekommen. Letzte Woche, erzählt der schwedische Europaabgeordnete, habe ihm die Parlamentsverwaltung wieder 2.000 Mark für einen Heimflug bezahlt. „Der Flug hat aber nur 1.300 Mark gekostet“, klagt er, „doch die wollen das Ticket gar nicht sehen, die zahlen pauschal nach Kilometern.“ Zum Glück habe ihn am selben Tag eine ungarische Umweltorganisation um 700 Mark angepumpt. „Das paßte gerade.“ Ganz wohl ist ihm trotzdem nicht.

Gahrton gehört zu einem Häuflein Aufrechter im Europaparlament, vorwiegend Grüne, die lieber klare Verhältnisse wollen als mehr Geld. Denn die 630 Europaabgeordneten kassieren Zulagen und Aufwandsentschädigungen, die ihnen nicht immer zustehen. Das Vergütungssystem des Europaparlaments lädt zum Mißbrauch geradezu ein. Und oft wird die Einladung auch angenommen. Jeder in Brüssel kennt die Geschichten von Abgeordneten, die sich jede Woche eine Heimreise bezahlen lassen, aber mit ihren Familien in Belgien leben.

Die kleinen Betrugsmanöver nagen an der Glaubwürdigkeit des hohen Hauses. Im Oktober 1996 etwa brachte das britische Fernsehen einen Bericht über eine Reihe von Europaabgeordneten. Sie waren an einem ganz normalen Parlamentstag in Straßburg dabei gefilmt worden, wie sie sich morgens in die Anwesenheitslisten eintrugen und dann sofort nach Hause jetteten. Für 10 Minuten Volksvertretung kassierten sie den vollen Tagessatz von fast 400 Mark.

Der Bericht legte leider auch die Vermutung nahe, daß solche Abzockereien eher die Regel als die Ausnahme sind. Das Europaparlament versprach deshalb mehr Transparenz und setzte eine Arbeitsgruppe ein, die seinen Mitgliedern das Schummeln erschweren sollte. Doch nach wenigen Monaten ist der Reformeifer verflogen. In dieser Woche ist es soweit: Morgen werden die neun Fraktionschefs im Europaparlament die geplante Reform des Vergütungssystems auf später verschieben. Eine überparteiliche Arbeitsgruppe war zu keinem Ergebnis gekommen.

Die Arbeitsgruppe sei eine Farce gewesen, klagt die finnische Grünen-Abgeordnete Heidi Hautala. Seit Wochen habe die Vorsitzende Nicole Pery, eine französische Sozialistin, keine schriftlichen Informationen mehr herausgegeben. Die Grundlagen, auf denen die Gruppenmitglieder ihre Vorschläge aufbauen sollten, wurden nur noch mündlich vorgetragen. Als Grund führte Nicole Pery an, daß ein vertrauliches Arbeitspapier in einer dänischen Zeitung veröffentlicht worden war. Und so überraschte es auch kaum, als Frau Pery das abschließende Treffen einfach absagte.

Die offizielle Begründung ist an sich lächerlich: Nicole Pery werde bald nach Frankreich zurückkehren, eine geordnete Arbeit sei deshalb nicht mehr möglich. „Der wirkliche Grund ist ein Mangel an Enthusiasmus der politischen Fraktionen für die Reform“, sagt Hautala. Gahrton, Hautala und einige andere Grüne fordern, das ausufernde Vergütungssystem endlich zu durchforsten und vernünftige Kontrollen einzuführen. Denn bisher genügt die bloße Unterschrift des Abgeordneten, um etwa die Tagespauschale oder die Kosten für die Anreise zu bekommen. Rund 18.000 Mark stehen jedem Abgeordneten zudem jeden Monat für die Bezahlung von Mitarbeitern zur Verfügung. Von einigen Abgeordneten weiß man, daß sie mit dem Geld vor allem die eigene Familie in Lohn und Brot gebracht haben. Vor allem die großen Parteien sperren sich gegen Änderungen. Sie wehren sich allerdings gegen den Vorwurf, im Durchschnitt geldgieriger als die Grünen zu sein. „Wir haben einfach andere Probleme“, meint ein Sozialdemokrat, die Grünen könnten leicht reden, weil sie kaum Abgeordnete aus Spanien, Griechenland oder Großbritannien hätten.

Denn das Zulagensystem sei ein Ergebnis der unterschiedlichen Bezahlung der Abgeordneten. Ihr Grundgehalt wird von den Heimatregierungen bezahlt und bemißt sich nach dem Einkommen in den nationalen Parlamenten. Die Italiener bekommen fast 17.000 Mark, die Deutschen knapp 12.000, ein Grieche oder Spanier dagegen nur 5.000 Mark. Mit 5.000 Mark aber kommt man in Brüssel und Straßburg nicht weit, die Zulagen sind deshalb eine Art „zweites Gehalt“ für die armen Schlucker, wie der Haushaltsvorsitzende Detlev Samland einräumt.

Das sei durchaus so gewollt. Das Grundproblem können nur die Mitgliedsregierungen lösen. Seit fast 20 Jahren fordern die EU-Abgeordneten, die Regierungen sollten endlich ein Statut beschließen, das alle Europaparlamentarier gleichstellt. Auf dem EU-Gipfel in Amsterdam wurde ein solches Statut zumindest angekündigt, doch das kann noch lange dauern. Denn einige Regierungen stört schon der Gedanke, Europaparlamentarier könnten besser gestellt sein als die heimischen Abgeordneten.

London fürchtet, daß eine zentral geregelte Bezahlung die Legitimität des Europaparlaments stärken würde. Quer durch die Fraktionen hält sich deshalb ein trotziges Unschuldsbewußtsein. Doch von dem System profitieren auch die Besserverdienenden. Eine Heimreise nach Bonn bringt 700 Mark, obwohl die dreistündige Bahnfahrt für Abgeordnete umsonst ist. Alle Versuche der Grünen, den Mißbrauch einzuschränken, sind abgeschmettert worden. Die Mehrheit der Abgeordneten will die Kostenerstattungen weiter auf Treu und Glauben ausgezahlt bekommen, Unterschrift genügt. Doch die Grünen könnten bald Unterstützung bekommen. Der Europäische Rechnungshof befaßt sich mit dem Problem.

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