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Frankreich spielt auch weiterhin eine Sonderrolle

■ Ohne „Europäisierung“ des Nato-Kommandos wird es keine Reintegration geben

Wenn sich Franzosen quer durch alle Lager in einer Frage einig sind, dann ist es die des US-Imperialismus, den es unbedingt zu bekämpfen gilt. Deswegen können der kohabitierende neogaullistische Präsident Chirac und der sozialistische Premierminister Jospin auch sicher sein, daß ihre Weigerung, in die militärischen Kommandostrukturen der Nato zurückzukehren, breiten Beifall im Lande finden wird.

Dabei ist Madrid alles andere als ein Erfolg für Chiracs militärische Außenpolitik. Im Vorfeld des Gipfels hatte er eine grundlegende Reform der Nato, eine großzügige Erweiterung gen Osten und einen Europäer an der Spitze des Südkommandos in Neapel gewollt. Monatelang suchte seine Regierung in der ersten Jahreshälfte die Unterstützung seiner Nachbarn für einen Ausbau des westeuropäischen Verteidigungsbündnisses WEU. Beim deutsch-französischen Gipfel Mitte Juni sprach Chirac sich zusammen mit Kohl für eine Aufnahme von Slowenien und Rumänien in die Nato aus. Schriftlich begründete er in einem Brief an US-Präsident Clinton, daß die Europäisierung der Nato- Kommandostrukturen „of capital importance“ sei. Erfolglos. Frankreich konnte sich nicht durchsetzen. Die europäische Unterstützung blieb zu halbherzig, die USA waren zu entschlossen.

Die Notbremse zog die neu gewählte rot-rosa-grüne Regierung, die schon im Wahlkampf angekündigt hatte, daß mit ihr unter diesen Umständen keine Reintegration in die Nato zu machen sei. Premierminister Jospin und seine Minister teilten gleichzeitig mit, daß sie nicht nach Madrid fahren würden. Präsident Chirac fuhr zwar hin, ließ aber in Paris wissen, daß es in der Nato-Frage keine Divergenzen zwischen ihm und der Regierung gebe.

Das Tauziehen zwischen Paris und der atlantischen Allianz geht damit – „neue Nato“ hin oder her – weiter. Begonnen hat es 1956 mit dem demonstrativen Auszug von de Gaulle aus der US-amerikanisch dominierten Nato, die ihr Pariser Hauptquartier bereits gebaut hatte. Seither hat das mit einer eigenen atomaren „Force de Frappe“ ausgestattete Frankreich stets eine Sonderrolle in der westlichen Militärpolitik gespielt. Erst der Mauerfall und die Auflösung des Warschauer Pakts ermunterten Frankreich zu einem neuen Annäherungsversuch, den ausgerechnet Chirac, der politische Erbe de Gaulles, vollzog. Gleichzeitig versuchte Paris, wo niemand akzeptiert, daß Europa in der Allianz zwar die Mehrheit, nicht aber das Sagen hat, Zeichen zu setzen. Weil das nicht klappt, bleibt es nun doch bei der französischen Sonderrolle. Dorothea Hahn, Paris

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