: Tausenden Mietern droht Verdrängung
■ Mit der Änderung des Baurechts im Bundestag wurden die Berliner Mietobergrenzen faktisch außer Kraft gesetzt. Bezirke und Sanierungsträger sind völlig überrascht und befürchten eine Verdrängung
Ein kleiner Zusatz bei der Änderung des Baugesetzes durch den Bundestag könnte für die Mieter in den Milieuschutzgebieten große Folgen haben. Künftig, so sieht es das letzten Freitag verabschiedete Gesetz vor, darf einem Hauseigentümer die sanierungsrechtliche Genehmigung nicht mehr versagt werden, wenn die Modernisierungsmaßnahme „der Herstellung des zeitgemäßen Ausstattungszustandes einer durchschnittlichen Wohnung“ diene. Das Gesetz tritt zum 1. Januar 1998 in Kraft.
Mit der Änderung des Baurechts folgte der Bundestag dem Standpunkt der Haus- und Grundeigentümer, die die Milieuschutzverordnungen und insbesondere die von den Bezirken festgelegten Mietobergrenzen seit Jahren als „Investitionshemmnis“ geißeln. Betroffenenvertreter in den Milieuschutzgebieten befürchten nun, daß nicht mehr die Einhaltung der Mietobergrenzen das Kriterium für die Erteilung einer sanierungsrechtlichen Genehmigung sein werde, sondern der Hinweis des Eigentümers, einen „zeitgemäßen Standard“ herzustellen.
Offenbar wurde der Passus im Absatz 4 des Paragraphen 172 des Baugesetzbuches, der die Milieuschutzsatzungen betrifft, von den Lobbyisten der behutsamen Stadterneuerung schlicht übersehen. Für den Tiergartener Baustadtrat Horst Porath (SPD) kam die Gesetzesänderung im Sinne der Eigentümer „völlig überraschend“. Derzeit, so Porath, prüfe seine Rechtsabteilung, ob die städtebaulichen Ziele der Milieuschutzgebiete nach dieser „Nacht-und-Nebel-Aktion“ noch sinnvoll angewandt werden könnten.
Besorgt zeigte sich auch Gabi Mersch vom Sanierungsträger S.T.E.R.N.: „Für die Milieuschutzgebiete wird die Handlungsmöglichkeit der Bezirke sicher eingeschränkter.“ Wichtig sei es, schon jetzt zu klären, wie man einen „zeitgemäßen Ausstattungsstandard“ unter Berücksichtigung der Berliner Altbausubstanz definiere.
Alarm schlägt auch der PDS- Abgeordnete Michail Nelken. Er befürchtet, daß die Eigentümer im Falle einer Versagung der sanierungsrechtlichen Genehmigung künftig vor Gericht ziehen, um die Mietobergrenzen unter Hinweis auf die Baurechtsänderung außer Kraft zu setzen. Sollten die Mietobergrenzen wertlos werden, so Nelken, „drohen unabsehbare soziale Verdrängungsprozesse“.
Neben dem umstrittenen Passus „zeitgemäßer Ausstattungsstandard“ hat der Bundestag den Kommunen freilich auch die Möglichkeit gegeben, bei einer geplanten Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen eine sanierungsrechtliche Genehmigung zu versagen. Uwe Rada
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