Ministerin unter Druck

Die Unruhen in Nordirland gehen weiter. Eine neue Eskalation wird für Samstag befürchtet  ■ Aus Belfast Ralf Sotscheck

Die britische Nordirlandministerin Marjorie Mowlam kämpft um ihre Glaubwürdigkeit. Ein Dokument aus ihrem Ministerium, das den Medien zugespielt wurde, deutet darauf hin, daß die Entscheidung über die Parade von Portadown bereits am 20. Juni gefällt worden war. Es sei die „am wenigsten schlechteste Lösung“, den protestantischen Oranier-Orden durch die katholische Garvaghy Road marschieren zu lassen, heißt es in dem Dokument. Mowlam hat eine Untersuchung eingeleitet, um die undichte Stelle ausfindig zu machen. Sie beteuert, der Vorschlag sei nur einer von vielen gewesen. Die Entscheidung sei erst kurz vor der Parade am vorigen Sonntag gefallen.

Seitdem sind die katholischen Viertel Nordirlands in Aufruhr. Es ist bisher zu knapp tausend Angriffen auf die Polizei gekommen, dabei wurden 60 Beamte verletzt. Zum zweiten Mal in drei Tagen ist vorgestern ein Zug zwischen Dublin und Belfast abgefackelt worden, der Eisenbahnverkehr ist eingestellt. Zwischen Nordirland und der Republik Irland ist nur noch eine Straße passierbar.

Ein Ende ist nicht abzusehen. Am Samstag wollen die Oranier über die katholische Ormeau Road in Belfast marschieren. Ein Bürgerkomitee will das verhindern. Dessen Sprecher Gerald Rice lehnte gestern jedes Gespräch mit Mowlam ab, da er ihr nicht mehr traue. „Ich kann möglicherweise nur noch von begrenztem Nutzen sein“, räumte Mowlam ein, „nachdem ich bei der Garvaghy Road gescheitert bin.“

Die Irische Nationale Befreiungsarmee (INLA), eine Absplitterung der IRA, hat vorgestern mit der Ermordung von Mitgliedern des Oranier-Ordens gedroht, falls sie ihre Paraden künftig nicht von katholischen Wohngebieten fernhielten. Vielleicht, so rätselten die politischen Kommentatoren gestern, ist das nur eine taktische Drohung: Mowlam hatte die Genehmigung der Parade von Portadown unter anderem damit begründet, daß die protestantische Terrorgruppe LVF andernfalls Katholiken in der Republik Irland töten wollte. Offenbar steht auch der Waffenstillstand der anderen protestantischen Organisationen vor seinem offiziellen Ende. Ihre bewaffneten und maskierten Leute waren vorgestern zum ersten Mal seit fast drei Jahren in Belfast wieder auf „Patrouille“.