Freischwebende Bodenlosigkeit nach Tibet

■ Banco de Gaia segelt als aufgerüsteter Kolumbus durch die Klang-Archive Asiens

Nicht alle Hippies haben lange Haare. Die Musik von Banco de Gaia ist wie ein Soundtrack zu einem namenlosen Science-Fiction. Darüberhinaus ein Exempel für die einlullenden Effekte von Computermusik. An der Vielfalt der musikalischen Bestandteile liegt es wohl nicht. Für das Jagen und Sammeln einer so großen Anzahl Samples wird sich der Macher, Toby Marks, gewiß Tage und Nächte um die Ohren schlagen. Die Ambitioniertheit, seine Stücke wie Frachtschiffe zu beladen und der Versuch, sie bei ihrer ziellosen Reise auf dem Land, zu Wasser und schließlich durch den Rest des Universums nicht an Übergewicht verenden zu lassen, sind nobel. Marks macht Musik zum Träumen, auch er selbst muß wohl ein Träumer sein. Er verfolgt eine romantische Vorstellung der Musik. Ist er soetwas wie ein Geschichtenerzähler? „Nein, ich sehe mich eher als Landschaftsmaler“, sagt er der taz. Seine Landschaften sind ellenlang und windgeschliffen.

Das aktuelle Werk Last Train To Lhasa widmet sich Tibet und der damit zusammenhängenden Problematik. Zumindest das Cover und der Titel, denn zwischen Musik und Thematik gibt es keinen Zusammenhang. „Das Cover und der Titel sind unabhängig von der Musik enstanden“, wird hier der Verbindung beider Medien im Sinne eines Gesamtkunstwerkes entgegengewirkt. Überdies will er sich nicht abgrenzen, nicht einmal mit der inzwischen undifferenzierter gewordenen Bezeichnung Ambient. „Es gibt zwar Elemente von Ambient-Musik bei Banco de Gaia, ich möchte mich nicht auf irgendeine Kategorie festlegen.“ Toby Marks hält an seinem Multikultur-Megamix fest. Der Versuch, beispielsweise nordafrikanische Perkussion, gemeinsam mit Schlangenbeschwörergeflöte via Sample auf Strukturen neuerer elektronischer Musik treffen zu lassen, fällt in den meisten Fällen poppig-sauber, zuweilen steril aus. Wenn er, wie ein Musik-Kolumbus durch die Klangarchive streift, von hier und da exotische Sounds importiert, sie zusammenwebt zu einem bunten, glatten Strang von Seemannsgarn, erzählt er von einer Welt, die zu langweilig, weil zu einseitig ist, um echt zu sein. Sie wirkt konstruiert. Gerade mit den Möglichkeiten, die der heutigen elektronischen Musik durch atemberaubende Technik offenstehen, begibt sich jeder Producer in die Gefahr eher zuviel als zuwenig zu machen, schließlich im überinspiriertem Gedudel zu landen. Bei besagter Offenheit musikalischer Grenzen wird es mittlerweile doch eher interessanter, eben ausnahmsweise nicht alles auszureizen, was da möglich ist.

Trotzdem ist bei Banco de Gaia noch nicht einmal ein kurzer, befristeter Bruch mit dem elektronischen Prinzip ausgeschlossen. „Ich hatte auch schon die Idee, einmal eine Platte nur mit akustischen Instrumenten einzuspielen“, verrät der Multiambitionierte. Es ist ein Klischee, daß Elektronik sich, um die Zukunft zu weisen, in freischwebender Bodenlosigkeit verlieren muß, die mehr rekonstruiert, als daß sie Neues schafft. Toby Marks, der sich sicher schon oft den boshafen Vorwurf gefallen lassen mußte, seine Musik sei letztlich doch nur Geblubber, leidet unter einer veralteten Vision musikalischer Zukunft. Sein Platz auf der Datenautobahn ist eher der Standstreifen, selbst wenn er das farbigste Vehikel hat.

Jan-Christoph Wolter

mit Children Of The Bong am 5.Juni, Markthalle, 21 Uhr