: Innenverwaltung als Videoproduzentin
■ Schönbohm will Geschehen auf öffentlichen Straßen und Plätzen, vor Senats- und Regierungsbauten mit Videokameras aufzeichnen. Datenschutz: „Erheblicher Eingriff in Selbstbestimmungsrecht“
Geht es nach dem Willen der Innenverwaltung, sollen zukünftig Videokameras nicht nur alles beobachten, sondern auch aufzeichnen – ob beim Einkaufen am Breitscheidplatz, beim Bummeln über den Kotti, beim Vorbeilaufen an einer Senatsverwaltung oder einem Regierungsgebäude
Der Sprecher der Innenverwaltung bestätigte gestern den Vorschlag von Innenstaatssekretär Kuno Böse (CDU), an „kriminalistischen Schwerpunkten“ wie dem Breitscheidplatz und dem Kotti und vor einigen Senatsverwaltungen und im Regierungsviertel Videokameras zu installieren. Diese sollen aber nicht als sogenanntes verlängertes Auge fungieren und nur Momentaufnahmen machen, die später gelöscht werden, sondern auch ohne konkreten Verdacht Aufzeichnungen machen.
Um diese Orwellschen Verhältnisse einzuführen, müßte das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) geändert werden. Dieses erlaubt nur den begrenzten Einsatz von Videoaufzeichnungen in begründeten Verdachtsmomenten wie bei bevorstehenden Straftaten bei Fußballspielen oder Demonstrationen. Zur Rechtfertigung von Aufzeichnungen argloser Passanten führt Thomas Raabe, Sprecher der Innenverwaltung, die Installation eines „Frühwarnsystems“ zum Nachweis von Straftaten an. Um dem „allgemeinen Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung“ Rechnung zu tragen, seien deshalb selbst Orte vorstellbar, die nicht wie der Kotti oder der Breitscheidplatz zu den 30 von der Polizei als „gefährlich“ eingestuften Orten gehörten. Auch vor „schützenswerten Senatseinrichtungen“ wie der Justiz- und der Innenverwaltung oder der Senatskanzlei sollen Kameras die Hauswand und den Bürgersteig im Visier haben.
Für die stellvertretende Datenschutzbeauftragte Claudia Schmid stellt „die permanente personenbezogene Aufzeichnung“ eine „neue Dimension“ dar. Während eine reine Augenblicksüberwachung bei ausdrücklichem Hinweis darauf „in bestimmten Bereichen hinnehmbar“ sei – Banken, Parkhäusern, öffentlichen Verkehrsmitteln –, stelle die Videoaufzeichnung auf öffentlichem Straßenland „einen erheblichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht“ der Betroffenen dar.
Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Wolfgang Wieland, sprach sich gestern entschieden gegen eine Änderung des ASOG aus. „Das wurde erst 1991/ 92 novelliert“, so Wieland, „um dem Recht auf informelle Selbstbestimmung zu genügen.“ Eine „verdachtslose Überwachung“ sei ein „Schritt in den Überwachungsstaat“. Die PDS-Landesvorsitzende Petra Pau bezeichnete das Vorhaben als „sicherheitsstaatlichen Irrsinn“. Barbara Bollwahn
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