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Herr Glamour winkt vom DJ-Pult herüber

Erlebnistanzen von unten: Gibt es ein Leben außerhalb der Love Parade? Die richtige Party spielte sich am Wochenende quer durch Berlins Clubs ab – dort regierte nicht Dr. Mottes Techno, sondern HipHop und britischer Drum 'n' Bass  ■ Von Tobias Rapp

Samstag abend in Berlin, am Wochenende der Love Parade. Das Ambient-Festival „The Big Sleep“ im Roten Salon der Volksbühne. Zwei Raver mit Neonhalsbändern stehen etwas verloren in einer Ecke des Raumes, wissen nicht so recht, wo sie gelandet sind, und blättern im Stadtmagazin flyer: „Ey, das soll der Szeneladen von Berlin sein, was ist das denn für 'ne Party?“ Links und rechts langweilen sich Studenten in den Sofas, die nicht so aussehen, als würden sie sich von den Strapazen der Parade ein paar Stunden vorher erholen. Das Licht ist gedimmt, die Musik leise, und passieren tut auch nichts. Kein guter Start in die Nacht. Solch eine Chill-out-Zone wäre zwar jedem Club zu wünschen, aber als Auftakt für die Nacht? Nächste Location.

Hackescher Markt, „Suicide“, dessen Name verspricht, daß „let the sun shine in your heart“ mit ihm nicht zu machen ist. Diesmal an einem neuen Ort, aber im alten Outfit: „Disco 3000“. Berlin, can you feel it? Das Alter des Publikums liegt zwischen zwanzig und dreißig: Man gibt sich noch einmal das Kellerclub-Gefühl. Stickige Luft, kaum Beleuchtung außer den Stroboskopblitzen, dumpfer Sound. Wo steht der DJ? Egal. Das Prinzip „Berliner Underground Techno“ feiert sich noch einmal selbst. Die DJs Tanith und Electric Indigo bürgen für eine kompromißlose, harte Techno-Abfahrt. Die Musik ist aggressiv, die Stimmung trotzdem friedlich. Die DJ- Sets haben eine Dramaturgie, ein Track greift in den nächsten. Routiniertes, handwerklich perfektes Auflegen, aber frei von Inspiration. Alles schon mal gehabt. Die zweite Location kann es noch nicht gewesen sein. Also weiter, auf der Suche nach internationalem Format.

Auf zur Hard-edged-Party in einer Fabrikhalle zwischen Kreuzberg und Treptow. Hier residiert die Metalheadz-Session aus London, die Chefs des Drum'n'Bass. Die DJs Doc Scott, Goldie und Grooverider mit dem MC Cleveland Watkiss. Und hier rockt das Haus. DJ und MC stehen, flankiert von zwei Videoleinwänden, auf einer Bühne und bringen die Halle zum Schwitzen. So ähnlich muß HipHop 1980 funktioniert haben, bevor die Rapper die DJs in die zweite Reihe drängten. Der MC als Master of Ceremony, der die Tänzer anfeuert und die Party im Gang hält. Und MC Cleveland Watkiss scattet auch oder singt ein Duett mit einem Trompetensample. Die Trennung zwischen Künstler und Publikum, Tanzfläche und DJ- Pult, die Techno verschwimmen lassen wollte, ist zwar wieder eingeführt, aber nur, damit sie von Glamour durchbrochen wird. Goldie, natural born popstar mit Goldzähnen, Goldkette und Goldringen, springt nach seinem DJ-Set auf den Dancefloor, um wild zu tanzen. Und Grooverider mischt seinen Sound nicht mit dem funktionalistischen Grundverständnis seiner Techno-Kollegen. Durch Cuts und Rewinds zerhackt er seinen Klangstrom immer wieder und gibt so dem MC Raum, die Teile durch geschicktes Agieren wieder zusammenzufügen. Dabei spielt er manchmal fast atonale Geräuschcollagen, unterlegt von Beats, die komplizierten Bebop-Breaks in nichts nachstehen und doch tanzbar sind. „Is' geil hier“, gibt eine Raverin per Handy zur „Kalkscheune“ im Bezirk Mitte durch, „und bei euch?“

Um halb neun entlassen die Briten das Publikum aus der Halle. Hinausstolpern in den Staub und die Erfrischungstücher gezuckt: The future's so bright, we gotta wear shades!

Aus-Chillen.

Und am Nachmittag noch mal losziehen. Es lockt Sven Väth mit seinem Zehn-Stunden-Set im Tresor. Doch statt zum Frankfurter Altmeister gehen wir lieber zum Gottvater selbst: Grandmaster Flash hat sich für den letzten Tag des „DJ Culture“-Festivals im Yaam in Kreuzberg angekündigt.

Das Fabrikgelände an der Spree ist der multikulturelle Jahrmarkt der Stadt. Von T-Shirts und seltenen Reggaeplatten bis zu afrikanischem Essen oder Spacedrinks bekommt man hier alles, was der Großstadtmensch so braucht. Daneben bearbeiten Graffiti-Writer die Wände, Inline-Skater machen Kunststücke auf der Halfpipe, es wird Streetball gespielt und am Spreestrand gelegen. Erlebnisgastronomie von unten. Aus den überall aufgestellten Lautsprechern wummern Reggae und HipHop, während im Saal endlos der Sound gecheckt wird.

Mit vier Stunden Verspätung entert Grandmaster Flash die Bühne. Etwas älter geworden, mit einer Schiebermütze auf dem Kopf. Das Plattendrehen überläßt er weitgehend seinem Assistenten, der Grandmaster übt sich lieber als Master of Ceremony. Nach und nach holt er die rappenden und breakdancenden Lokalmatadoren auf die Bühne und läßt das Publikum seine Hits singen. Die Berliner Posse repräsentiert, was das Zeug hält – Love Parade: represent, represent.

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