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„Wir bleiben hier“

Ein Dönerverkäufer ließ sich nicht einschüchtern: Rabiat wehrte er mit einem Messer Skinrandale ab  ■ Aus Potsdam Annette Kanis

Ertikin A.* lächelt, scherzt mit einer Kundin. Sie bestellt Pommes mit Mayo, wie immer. Die Leute stehen Schlange vor der türkischen Imbißbude in dem Potsdamer Plattenbauviertel. Das Geschäft läuft. An den Stehtischen im Schatten vor dem Stand ist die Mittagshitze erträglich. Doch der hitzige Gesprächston will nicht passen zum Imbißidyll.

Die Leute hier reden über jenen Abend vor einer Woche, als ihr Dönerverkäufer von Skins überfallen wurde. Für Hans M., der gerade sein Dosenbier mit Kümmerling streckt, sind das „Schurken, die man anketten muß. Wie in den USA und dann die Sauerei hier wegmachen lassen.“ Er spielt damit auf die bunten Graffitis an, mit denen die umliegenden Hochhäuser besprüht wurden.

Und er meint zugleich, daß die vier Jugendlichen, die den Imbißladenbetreiber Ertikin A. massiv bedroht hatten, hart bestraft gehören. Einer der rechtsgesinnten Jugendlichen hat bei dem versuchten Überfall schon büßen müssen: Der 25jährige Türke setzte sich mit einem Dönermesser zur Wehr.

Ertikin A. spricht nur zögernd über diesen Abend. Sein Freund und Kollege Kemal S.* wollte gerade die Klappe vor dem Budenfenster runterlassen, als die vier Jugendlichen plötzlich vor seinem Wagen standen. Einer habe zunächst eine Schale Salat geklaut. Dann wollten die drei anderen noch einen Döner bestellen. Als Ertikin A. auf ihren Wunsch wegen seines Feierabends nicht einging, riefen sie „Scheiß Türke“ und „Ausländer raus“.

Kemal S. rannte zur nächsten Telefonzelle, um die Polizei zu alarmieren. Hinter dem Wagen, wo Ertikin A. gerade abschließen wollte, sei es dann zu dem Gerangel gekommen. Hier war der Dönerbudenbesitzer allein mit den vier Jugendlichen. Links und rechts nur Flachbauten mit Geschäften und Büros. Die Jugendlichen drohten, die Imbißbude anzuzünden. „Meine Nerven waren kaputt“, sagt Ertikin A., als wollte er sich für seinen Mut entschuldigen. Er fühlte sich in die Enge getrieben. Bedrängt von „den Zwei-Meter-Typen. Die wollten in meinen Wagen, und der eine hat mit einer vollen Whiskyflasche nach mir geworfen.“ Als Ausweg sah Ertikin A. nur das Dönermesser. Er stach zu. Der Jüngste der Skingruppe wurde schwer am Oberkörper verletzt.

„Die tun keiner Fliege was zuleide“, sagt hingegen die Zeitungsverkäuferin neben dem Imbißstand. „Die Leute sagen, das war Provokation.“ Sie selbst will nichts mitbekommen haben an dem Abend um sieben Uhr dreißig. Jetzt fürchtet sie, daß noch mehr passieren könnte. Eingeworfene Schaufensterscheiben kennen die Ladenbesitzer hier schon länger.

Vor drei Jahren kam Ertikin A. vom Schwarzen Meer nach Deutschland. Sein Bruder führte damals den Dönerstand im Einkaufszentrum des Potsdamer Vorortes. Momentan macht er Urlaub. Wenn er wiederkommt, wird Ertikin A. ihm die Zeitungsartikel zeigen, die über den Überfall geschrieben wurden. Der Medienrummel ist ihm unangenehm. „Keine Namen, keine Fotos“, darauf besteht er.

Von Racheplänen hat die Polizei noch nichts gehört

Ertikin A. wohnt eigentlich in Berlin, aber dort gibt es schon zu viele Kebabbuden. In Potsdam dagegen ist die türkische Konkurrenz klein. Bislang habe er sich noch nicht als Ausländer bedroht gefühlt. Doch jetzt hat Ertikin A., ein eher schüchterner Mann, Angst. Er will sie aber nicht zugeben: „Wir haben uns hier doch immer wohl gefühlt.“

Die drei unverletzten Jugendlichen sind nach einem Tag Ausnüchterung und anschließender Vernehmung wieder auf freiem Fuß. „Wir haben uns vorbereitet“, sagt sein Kollege Kemal, „vertreiben lassen wir uns nicht.“ Ertikin A. setzt in gebrochenem Deutsch hinzu: „Wir bleiben hier.“

Bei der Potsdamer Polizei waren die Skins schon vor dem Überfall bekannt – wegen Sachbeschädigung, Diebstahl, öffentlichem Tragen verfassungsfeindlicher Symbole. Für einen besonderen Schutz der Dönerbude und ihrer beiden Betreiber sieht die Staatsanwaltschaft keine Veranlassung. „Das Auffälligste an der ganzen Sache waren die vielen Pressevertreter“, teilt Polizeisprecher Geert Piorkowski mit. Der Streifenwagen hat den Platz vor dem Imbißstand in seine Route aufgenommen. Mehr Schutz ist nicht drin. „Wir können schließlich nicht ständig einen Polizisten daneben postieren“, so Piorkowski.

In dem nahen Jugendzentrum ist man sauer auf die Potsdamer Zeitungen, die „nur Schrott schreiben“ über den „angeblichen Überfall“. Die Jugendlichen, die an diesem Nachmittag hier Tischtennis spielen, standen zur Tatzeit vor dem 200 Meter entfernten Supermarkt. Sie wollen gesehen haben, daß drei der beteiligten Skins vor dem Imbißwagen standen, als es zu der Messerstecherei kam. „So bedroht kann der Türke sich gar nicht gefühlt haben“, sagt einer von ihnen und schlägt den Tischtennisball noch etwas fester auf die Platte. Ihr Freund liegt schwer verletzt im Krankenhaus: „Der wär' doch beinahe krepiert.“

Ihre Namen wollen sie nicht nennen, um keinen Ärger mit der Polizei zu kriegen. „Wenn du eine rechte Meinung hast, bist du halt unten durch“, behauptet ein 15jähriger. Er sagt, während er seine Baseballkappe tiefer ins Gesicht schiebt: „Die Ausländer sollen alle heimgehen, dann ist hier Ruhe.“

Sie sind sich sicher, daß es Rache geben wird. „Unsere Kumpels kommen wieder, und dann mit 300 Mann“, sagt einer. Seine Drohung klingt ernst. Am Vorabend hätten sich 40 Jugendliche auf dem Platz vor dem Imbißstand versammelt. Ein paar leere Bierdosen auf der vertrockeneten Wiese erinnern an das Treffen. Junge Bäume wurden abgeknickt, die Kronen liegen neben den dünnen Stämmen. Polizeisprecher Piorkowski zum Thema Rache: „Anzeichen, daß die Betreffenden in dieser Richtung agieren könnten, gibt es derzeit nicht.“ Ertikin A. wartet nun auf sein Verfahren wegen Körperverletzung.

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