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Wahlurnen zwischen Ruinen

Mit freien Wahlen will Liberia am Samstag Krieg und Zerstörung hinter sich lassen. Aber noch trauen die Menschen dem Frieden nicht  ■ Aus Monrovia Martin Zint

Die klapprige zweimotorige Iljuschin dreht vom Meer in Richtung Land, überfliegt einige ausgebrannte Ruinen und landet zwischen zerstörten Hangars und Flugzeugwracks. So gestaltet sich die Ankunft in Liberias Hauptstadt Monrovia. Aus dem verschlafenen Städtchen, in dem Polizisten bis heute in New Yorker Uniformen den Verkehr regeln, ist in sieben Jahren Krieg nach der Ankunft von schätzungsweise 500.000 Flüchtlingen eine Millionenstadt geworden. Hier leben über die Hälfte der 1,8 Millionen noch im Land befindlichen Liberianer, die nicht im Krieg umkamen oder in die Nachbarländer flohen.

Die Spuren des Krieges sind überall. Dreimal wurde Monrovia seit 1990 bei Kämpfen zerstört – zuletzt im April 1996. Heute starren an Kreuzungen tote Ampeln aus glaslosen Höhlen auf das chaotische Durcheinander aus Fußgängern, Schubkarren und Autos, die sich an ausgebrannten Autowracks vorbeischieben. Wasser- und Stromversorgung sind außer Betrieb. Der Wiederaufbau hat noch nicht begonnen.

In diesem Zustand der Zerstörung werden am Samstag Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattfinden, die einen Schlußstrich unter den Krieg setzen sollen (siehe unteren Text). Aber die große Frage in Liberia vor den Wahlen ist nicht: Wer wird die Wahlen gewinnen?, sondern: Was werden die Verlierer tun?

Denn die Menschen trauen dem Frieden nicht. Schon der letzte große Gewaltausbruch im April 1996 kam völlig unerwartet, als alle dachten, der Krieg sei schon vorbei. „Wait and see“ lautet seitdem die Devise. Vielerorts sind nicht einmal die Trümmer von 1996 beiseite geräumt. Auf den Bürgersteigen vor den Ruinen der Innenstadt wird das wenige gehandelt, was im Angebot ist: Reis, Weizen, Altkleider, Möbel. Steuern werden nicht gezahlt, Abgaben wandern direkt in die Taschen der Beamten der amtierenden Interimsregierung, die unter dem Schutz der von Nigeria dominierten Ecomog-Truppe einen Schein von Staat zu stiften versucht. Die Beamten sind seit neun Monaten nicht bezahlt worden, denn die Staatskassen sind leer. Ausländische Geldgeber warten die Wahlen ab.

Die reale Staatsmacht in Liberia ist die westafrikanische Eingreiftruppe Ecomog unter dem nigerianischen General Victor Malu. Die 10.500 Ecomog-Soldaten aus Nigeria, Ghana, Guinea und Burkina Faso haben offiziell die Bürgerkriegsmilizen entwaffnet und sind im ganzen Land präsent – zumindest in größeren Ortschaften und an den großen Straßen. Sie sollen auch für Sicherheit bei den Wahlen sorgen.

In der Praxis beweist die Ecomog ihre Kampfkraft hauptsächlich in Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung. Menschenrechtsorganisationen wie die katholische „Justice and Peace Commission“ haben zahlreiche Fälle von Prügeleien und Mißhandlungen bei Festnahmen mutmaßlicher Milizionäre dokumentiert. Als dagegen im April 1996 die letzten Kämpfe zwischen Milizen in Monrovia losbrachen, sah sich die Ecomog nicht in der Lage, das zu unterbinden. Soldaten sollen sich sogar an den Plünderungen beteiligt haben.

An den Ecomog-Kontrollpunkten sind kleine Geschenke angesagt, wenn Reisende schikanöse Behandlung vermeiden wollen. Trotzdem stimmen viele Liberianer der überall plakatierten Parole zu: „Gott sei Dank gibt's Ecomog“. Denn die ausländischen Soldaten sind immer noch kalkulierbarer als früher die vielen einheimischen Milizen, deren Checkpoints oft von drogensüchtigen Kindersoldaten bewacht wurden.

Harris war einer dieser Kindersoldaten. Heute hat er Hunger und keinen Kommandanten mehr, der ihm gegen den Hunger wenigstens ein Pfeifchen gibt. Dafür hat er eine Lehrstelle: Katholische Ordensbrüder, Salesianer, bieten in Monrovia Umschulung für ehemalige Kämpfer an. In einer Werkstatt lernen etwa 200 Jugendliche Elektroinstallation, Metallbau, Zimmerei, sogar den Traumberuf Kfz-Mechaniker. „Wir haben es sieben Jahre lang mit der Waffe in der Hand versucht – mir hat es gar nichts gebracht“, sagt der 20jährige Harris. „Jetzt versuche ich es mal mit Werkzeug.“

Außer der Ausbildung und einem warmen Mittagessen gibt es allerdings nichts – keine Unterkunft, Vollverpflegung oder gar Taschengeld. Der Ausbilder Johnson Mulbah kennt die Beschwerden – man hat den Jugendlichen viel versprechen müssen, damit sie ihre Waffen hergeben. Solange keine stabilen politischen Verhältnisse herrschen, fließen die Mittel der Entwicklungshilfe äußerst spärlich. Aber wie sollen stabile Verhältnisse erreicht werden, wenn Jugendlichen keine andere Perspektive geboten wird, als mit dem Gewehr in der Hand den Lebensunterhalt zu verdienen?

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