: Zwei Soprane und keine Elektronik
■ Beim Rheinsberger Kammeroper-Festival wird erstmals seit zwanzig Jahren Karlheinz Stockhausens szenisches Duo „Am Himmel wandre ich...“ aufgeführt
Eine abgedunkelte Kirche, zwischen zwei Säulen eine große Videoprojektionswand, auf der der Himmel langsam vorbeigleitet. Die Bühne wird hell. Zwei junge schwarzgekleidete Frauen treten aufeinander zu. „In the sky I am walking...“ (Am Himmel wandre ich), die ersten Töne erklingen. Kein Orchester, keine Instrumente, keine Elektronik. Nur die menschliche Stimme, zwei Soprane – und der ganze Raum tönt, vibriert, wird Klang. So stellt man sich Stockhausen nicht unbedingt vor. Durch zwölf Sequenzen hindurch: die Liebe (Oh, I have found my lover), der Krieg (Is this real? Let us see, is this real? Ye Gods, who dwell everywhere!). Durch Tod und Tanz: die Stimmen reißen einen mit in einen Wirbel von Klang und Bewegung. Keine Geste zuviel, sparsam, wunderbar herausgearbeitet. Ein ständiger Wechsel von Nähe und Ferne: eine Zärtlichkeit, die nicht ausgesprochen wird, Einsamkeit und Isolierung, Gespräch, Dialog, über die ersten und die letzten Dinge. Ritualisierte Gesten, kein psychologisches Drama, Zurückhaltung und Engagement zugleich.
Die einfachen Kostüme und strengen Frisuren erinnern an fernöstliches Theater. Der Himmel wird dunkel, wird hell, ein Vogel schnellt vorüber. In der letzten Sequenz: „Sacred, sacred, she has been made“ (Heilig, sie ist geschaffen worden), sitzen beide Frauen nebeneinander, kehren den Zuschauern den Rücken, der Himmel verdunkelt sich, sie verstummen.
Es hätte entsetzlicher Kitsch werden können. Der Himmel als Videoprojektion, eine Wasserschüssel aus Plexiglas, stilisierte Gestik – doch die Inszenierung ist ein prekärer Seiltanz, eine Gratwanderung, die gelingt. Cornelia Heger respektiert Stockhausens äußerst genaue Angaben und kann sie mit eigenen Vorstellungen verbinden. Ihre Inszenierung ist schöpferisch, eigenwillig; dank ihrer intensiven Auseinandersetzung mit dem Werk erfüllt sie nicht nur die Ansprüche des Komponisten, sondern sie macht sie greifbar und lebendig. Stockhausen komponierte „Am Himmel wandre ich...“, Indianerlieder, als 13. Sequenz seines „Alphabets für Liège“, Anfang der siebziger Jahre. In seinen eigenen Worten hatte sie „keine spezielle Funktion“ und darf allein aufgeführt werden. Dies ist die erste Inszenierung seit zwanzig Jahren. Die Bezeichnung „Indianerlieder“ hat ihren Ursprung in indianischen Gedichten, die Stockhausen damals las, und in der Raga, einer alten 12-Ton-Melodie, deren Eigenschaften in der seriellen Musik weiterentwickelt wurden.
Cornelia Heger suchte sich im Gegensatz zu der ersten Inszenierung, die in hellen Räumen aufgeführt wurde, die St.-Laurentius- Kirche aus, die sie abdunkelte. Die Zuschauer werden in einen sakralen Raum geführt, in eine Spannung zwischen „Bühnen-Zeit“ und „Zuschauer-Zeit“. Die kurze intensive Stunde stellt eine ungeheure Herausforderung für die Sängerinnen, Nathalie de Montmollin und Julia Rempe, dar. Sie haben wundervolle Stimmen und eine große Musikalität. Die musikalische Leitung lag beim jungen und zweifellos talentierten Vykintas Bieliauskas. Ruth Fruchtman
Aufführungen am 22. und 24. Juli um 17 Uhr, Rheinsberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen