■ Querspalte: Achtung! Spaßterroristen
„Das ist ja so schlecht, daß es schon wieder gut ist“ – mit diesem Spruch pflegten Menschen, die die Sozialisation nicht einmal mit einem Minimum an Differenzierungsvermögen gesegnet hatte, in den 80ern so manche ominöse Vorliebe zu rechtfertigen. Das ist lange her, doch die Formulierung hat heute, in Zeiten des Spaßterrors, immer noch Konjunktur.
Auf Zeitgenossen, die etwas richtig schlecht und trotzdem lustig finden, spekulieren auch die Organisatoren des „Bad Taste Club“ in Hamburg, die jetzt, rund eine Woche nach der wieder mal gigantomanischen Parade der Liebesbotschafter in Berlin, eine Art Gegenumzug angekündigt haben. Für Ende August planen die Damen und Herren mit dem schlechten Geschmack einen dreieinhalbstündigen „Schlagermove“ durch Hamburg. Zehn Trucks wollen mit Musik von Toten und Untoten wie Roy Black oder Howard Carpendale die Straßen vollsülzen.
Die Spaßterroristen, denen, wie allen Terroristen, natürlich mit aller Härte begegnet werden muß, sind auch nicht besser als jene debilen Teutonen, die das Zeug wirklich gut finden. „Deutsche Schlager sind bei den Jungen total in“, weiß Kay Bäätjer, einer der Veranstalter, „Fiesta Mexicana“ sei „Kult“, meint das SZ-Magazin. Doch neu klingt das alles leider nicht, denn tatsächlich erleben wir gerade das ungefähr fünfte Revival.
Okay, der schwarzrotgoldene Schlager ist ein interessantes Phänomen, weil diese Musik die deutscheste Kunstform aller Zeiten ist und wohl die einzige in der irdischen Kulturgeschichte, die sich ästhetisch niemals weiterentwickelt hat. Nur: Was soll lustig sein an ewiggestrigen Liedern für ewiggestrige Krauts?
Mit 15.000 häßlichen Deutschen kalkulieren die Veranstalter des „Schlagermove“, doch das ist kokett untertrieben. Udo Jürgens sang 1971: „Lieb Vaterland, du hast nach bösen Stunden aus dunkler Tiefe einen neuen Weg gefunden / Ich liebe dich – das heißt, ich hab' dich gern, wie einen würdevollen, etwas müden alten Herren.“ Wenn das nicht den heutigen Zeitgeist trifft. René Martens
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