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Alles ist gut

■ Was ist bloß "pädagogisches" Kinder-TV? Die USA sehen's großzügig

Pädagoginnen mit Montessori- Ausbildung werden die Welt nicht mehr verstehen. Eine stinknormale Teenager-Serie wie zum Beispiel „California Highschool“ erhält in den USA das Prädikat „educational“, weil in einer Szene, die mit der erzählten Geschichte nur am Rande zu tun hat, ein Mädchen zu einem Jungen mit Joint sagt: „Ey Alter, Drogen machen dich kaputt.“

Aber so sind sie nun mal, die Amerikaner: Seit die Federal Communications Commission (FCC), die oberste Fernsehbehörde, angekündigt hat, noch im Lauf dieses Jahres eine entsprechende Anregung Bill Clintons in die Tat umzusetzen, bereiten sich alle TV-Sender darauf vor, drei Stunden „educational programming“ pro Woche auszustrahlen. Während unsereins, öffentlich- rechtlich sozialisiert, mit diesem Genre die Sachgeschichten aus der „Sendung mit der Maus“ oder wenigstens die „Sesamstraße“ assoziiert, sind die Amerikaner weitaus großzügiger. So ist zum Beispiel besagte NBC-Serie „California Highschool“ (hierzulande bei RTL 2 zu sehen) in den Augen der FCC-Kommission schon vorbildlich.

Und da die FCC mit ihrer erzieherischen Maßnahme keinen Sender in den Ruin treiben will, wird sie sich vermutlich der Maxime von Peter Engel anschließen, der für NBC Produzent von Teenager- Serien wie eben „California Highschool“ produziert: „Letztlich mußt du auf jeden Fall unterhaltsam sein, sonst sagen die Kids: ,Ich gehe schon fünf Tage in der Woche zur Schule, ich will nicht auch beim Fernsehen zur Schule gehen.‘“

Das eingangs beschriebene Beispiel mag etwas auf die Spitze getrieben sein, doch so ähnlich wird der Hase laufen. Engel zitiert Pädagogen, die er extra zur Beratung herangezogen hat: „Man muß eine Botschaft haben, und diese Botschaft muß mit der jeweiligen Episode verwoben sein. Wenn man eine Geschichte übers Rauchen erzählt, darf der Protagonist nicht 44 Minuten lang rauchen und am Schluß feststellen: ,Ich höre jetzt auf zu rauchen, denn es ist nicht gut für mich.‘“

Natürlich ist es das gute Recht der US-Fernsehmacher, sich über die pädagogischen Potentiale des Fernsehens zu freuen. Doch wie die meisten Euphorien, so ist auch diese mit Vorsicht zu genießen. Der Weltmarkt schluckt ja nicht alles: Gerade Kinder sind ganz schnell weg, wenn sie sich langweilen. Mark Waxman, Produzent einer Kinderserie für CBS, stellt fest: „Je öfter das Wort ,education‘ mit einem großen ,E‘ geschrieben wird, um so weniger Zuschauer wird die entsprechende Sendung haben.“ Und Theresa Plummer- Andrews, die in der BBC-Kinderredaktion für Koproduktionen zuständig ist und in dieser Funktion unter anderem ausführende Produzentin der Serie „Als die Tiere den Wald verließen“, die für Europas öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten hergestellt wird: „Britische Kinder riechen eine pädagogische Botschaft Meilen gegen den Wind, und das ist genau der Moment, in dem sie zum konkurrierenden Kindersender Nickelodeon umschalten.“

Insgesamt aber reagiert der Markt euphorisch. Jacques Bensimon: „Bis vor kurzem wurde pädagogisches Fernsehen als armer Verwandter betrachtet, ein Ghetto für ein paar Exzentriker, die ihre Schultafel gegen den Bildschirm getauscht hatten.“ Mittlerweile aber, so Bensimon weiter, sei dieser Markt einer der vielversprechendsten des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts.

Bensimon findet die unterhaltungsorientierte „Hollywood-Variante“ auch ganz in Ordnung. „Für Puristen ist das natürlich Ketzerei. Aber für verantwortungsbewußte Eltern und Lehrer ist es ein absolutes Muß, wenn sie wirklich Wissen vermitteln wollen.“ Warum Hollywood & Co. diesem neuen Markt so viel Interesse entgegenbringen, verrät Bensimon auch: Jährlich werden nach seiner Einschätzung etwa 150.000 Stunden pädagogisches Fernsehen produziert; der Weltmarkt für diese Ware ist rund 2,5 Milliarden Dollar schwer. Tilmann P. Gangloff

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