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Bremer Hochstapler wieder auf der Flucht

■ „Oberarzt“Dr. Gert Postel tauchte jetzt in Dresden auf: In Bremen schaffte er ohne Schulbesuch das Abitur

Gert Uwe Postel wird gesucht. Der in Bremen bestens bekannte falsche Oberarzt wurde in Dresden als „Hochstapler“enttarnt. Jetzt ist er „auf der Flucht“. Dabei ist doch eigentlich klar, wo er hingehört: nach Bremen. Postel ist einer von uns. Hier machte er nach dem Hauptschulabschluß eine Lehre als Postschaffner. Doch das genügte ihm offenbar nicht. Postel wurde zum stadtbekannten Betrüger.

Zwei Psychologen, die 1986 seine Kindheit untersuchten, kamen zu dem Ergebnis: Verkorkste Kindheit, mangelnde Zuwendung, Versagensängste.

Das ist, frei nach Sigmund Freud, der Stoff, aus dem die Kultur ihre großen Leistungen schöpft. Auch bei Gert Postel. Weil heutzutage ohne Abitur nichts los ist im richtigen Leben, mußte Postel erst einmal da nachhelfen. So meldete er sich unter dem Pseudonym „Staatsarchiv“telefonisch beim Alten Gymnasium und bat um einen Original-Briefbogen mit Dienstsiegel für sein Archiv. Die Sache sei eilig – er werde einen Boten schicken. Anschließend setzte er sich auf das Fahrrad und spielte „Bote“. Um den Dienst an der Waffe kam er herum, indem er sich selbst eine Studienbescheinigung des Evangelisch-Lutherischen Missionsamtes Hermannsburg ausstellte.

Mit ähnlich schlichten Methoden holte Postel das Medizinstudium (nicht) nach und promovierte „summa cum laude“. Daß auf der langen Liste seines Vorstrafenregisters auch „Fahrradversicherungs-Betrug“steht, gehört wohl zu den Regeln der Hochstapler-Kunst.

Und es war einfach zu betrügen. Denkt man etwa, in der „Senatskommission für das Personalwesen“(SKP), Bremens oberster Personalbehörde, sei bekannt, was Datenschutz heißt? Postel rief an, gab sich als „Finanzamt Bremen“aus – als Mitarbeiter einer 30 Meter entfernten Behörde und bat um Adresse und Kontonummer einer Staatsanwältin – angeblich wegen einer Nachzahlung. Die SKP gab die Daten ohne Umschweife heraus.

Die Liebe zu Damen, die „etwas darstellen“und dem Postschaffner das Gefühl vermitteln konnten, er sei wer, wurde Postel in den 80er Jahren zum Verhängnis. Mit Telefonterror überzog er einige Frauen aus Bremen, bis eine Staatsanwältin ihn wegen „Körperverletzung“vor Gericht brachte. Postel hatte sie durch eine Meldung in der angesehenen „Neuen Juristischen Wochenschrift“(NJW) zur Generalstaatsanwältin „befördert“.

Mehr Erfolg als bei den Frauen hatte Postel in seiner medizinischen Karriere. Als Amtsarzt Dr. Batholdy in Flensburg flog Postel nur auf, weil er seine Geldbörse verloren hatte und die Polizei darin Dokumente mit verschiedenen Namen und demselben Lichtbild fand.

Die Bremer Staatsanwaltschaft, die Postel 1986 auf die Anklagebank gebracht hatte, wollte damals den positiven Entwicklungsprognosen seines Anwaltes Heinrich Hannover keinen Glauben schenken. „Diesen Schweinereien muß endgültig ein Ende gesetzt werden“, formulierte Staatsanwalt von Bock und Polach in seinem Plädoyer und bezog sich auf die sexistische Terrorisierung der Staatsanwältin. Doch das Urteil fiel milde aus: Schon in Flensburg hatte Postel für seine Amtsarzt-Geschichte nur ein Jahr bekommen, das zur Bewährung ausgesetzt wurde – und auch das Bremer Gericht addierte die Vorstrafen zu 27 Monaten auf Bewährung.

Den Begriff „Bewährung“muß Postel auf seine Art verstanden haben: In Dresden trat er plötzlich mit offenem Visier unter eigenem Namen an. Postel habe bei seiner Bewerbung eine „komplette, lückenlose Legende“vorlegen können, versichert das Sächsische Staatsministerium für Gesundheit. Alle Stationen seines Lebens seien mit Zeugnissen belegt.

Seine medizinische Fachtätigkeit – immerhin war er verantwortlich für 20-30 Straftäter mit verminderter Schuldfähigkeit – muß vorbildlich gewesen sein: Kein Patient sei zu Schaden gekommen, beeilte sich die Leitung der Klinik am Tag nach seiner Enttarnung zu versichern. Immerhin hatte Postel zwei Jahre lang auch Gutachten für Gerichte über Angeklagte verfaßt und mit Erfolg vorgetragen. Aufgeflogen war er nur, weil eine Krankenschwester aus Flensburg in Dresden eingestellt wurde... K.W.

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