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Oder spült die Deiche weich

■ Der erste Deich ist abgerutscht, das erste Dorf evakuiert. Kanzler Kohl vor Ort: „Die Lage ist kritisch, da sollen die Menschen wissen, daß wir das Notwendige tun“

Frankfurt an der Oder (dpa/AP) – Im Hochwassergebiet an der Oder trat gestern der lang befürchtete Ernstfall ein. In der Nähe des Ortes Brieskow-Finkenheerd rutschte Erdreich von einem Deich auf sieben Meter Breite ab. Helfer konnten nur mit Mühe die undichten Stellen schließen. Die 130 Einwohner des Dorfes Aurith, nördlich von Eisenhüttenstadt, wurden am Nachmittag wegen möglicher Deichbrüche evakuiert. Der Krisenstab des brandenburgischen Innenministeriums muß immer häufiger die Helfer zu gefährdeten Deichabschnitten schicken. Denn durch das seit vergangener Woche stetig gestiegene Oder-Wasser sind die Deiche durchfeuchtet und aufgeweicht.

Gestern wurden neue Höchstwerte beim Oder-Wasserstand erreicht. In Ratzdorf, am Zusammenfluß von Oder und Neiße, waren am Mittag bereits 6,81 Meter gemessen worden; die Behörden rechneten mit einem Höchststand von 7,10 Meter. Nach den Worten eines Gemeindevertreters ist man auch in Ratzdorf auf Evakuierungen vorbereitet.

Kritisch ist die Lage zwischen Ratzdorf und Aurith, nördlich von Eisenhüttenstadt. Dort sind die Deiche nach Angaben des Landesumweltamtes nicht für das derzeitige Hochwasser ausgelegt. Bis zum Mittag war in diesem Abschnitt an rund 200 Stellen Wasser durch die Dämme gesickert. Im Oderbruch, das während der zurückliegenden Tage als besonders gefährdet bezeichnet wurde, halten sich die Dämme vergleichsweise gut. Vorsorglich wurde aber damit begonnen, das Vieh in das höher gelegene Hinterland zu bringen. Entwarnung können die Behörden nicht geben. Im Gegenteil, in den nächsten Tagen sollen nach weiteren Regenfällen über der Lausitz und in Polen die Zuflüsse von Neiße und Oder weiter steigen. Am Wochenende könnte die nächste Hochwasserwelle Brandenburg erreichen.

Bei einem Besuch in der Oder-Region sagte Bundeskanzler Kohl: „Die Lage ist kritisch, da sollen die Menschen wissen, daß wir das Notwendige tun.“ Das Problem sei erkannt, „ich kümmere mich darum“. Die Frage, ob er nicht anpacken wolle beim Dämmebau, wehrt er wenig erfreut ab: „Ich hab' das schon so oft gemacht in meinem Leben. Ich kann das.“

In Polen und Tschechien bleibt die Hochwasserlage angespannt. 100 Menschen kamen durch die Flut in beiden Ländern ums Leben. Erstmals seit drei Tagen regnete es in Tschechien nicht mehr.

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