Rollen ohne inneren Schweinehund

Hamburger Wissenschaftler bewundern positive Skate-Bewegungsgefühle  ■ Von Achim Fischer

„Das geht ja prima.“Heike D. aus Hamburg wackelt ihre ersten Meter auf Inline-Skates. Sie strahlt über das ganze Gesicht – und läßt sich noch ein paar Meter anschieben. Tip, tip, tip – die ersten, vorsichtigen Schritte, und sie rollt mit zittrigen Knien davon. „Du kannst dich an dem weißen Golf da vorne festhalten“, ruft eine Freundin noch hinterher. „Das ist meiner.“Und schon rollt Heike dran vorbei. „Echt geil. Ich dachte, das wäre viel schwerer.“

„Schnelle Erlernbarkeit, die starke Verwandtschaft zu verbreiteten Sportarten (Eis-, Ski-, Rollsport) sowie die schnelle Erlangbarkeit überdurchschnittlich positiver Bewegungsgefühle prädestinieren Inline-Skating für den Status einer Freizeitsportart mit Zukunft“, bestätigt ein Gutachten der Uni Hamburg Heikes Erfahrungen als durchaus nicht unüblich.

„Oh, jetzt wird das aber ganz schön schnell.“Heike kommt zurück. Bremsen ist nicht. Das Publikum flüchtet auf den Gehsteig. Eine schicke Kurve, Haltungsnote 3,0, aber egal. „Ich lauf' noch mal eine Runde.“Und weg ist sie. Wie heißt es in dem Gutachten doch unter „B) Werte und Nutzen des ILS“: Skaten ist „ein nachhaltig motivierender Sport“.

Autor der Studie ist Volker Nagel, Dozent am Uni-Fachbereich Sportwissenschaft. Seit vier Jahren befaßt er sich mit der Fortbewegung auf acht Rollen, entwickelt Lernprogramme für AnfängerInnen, Fortgeschrittene und Profi-Sportler, für Kinder, Lehrer und Polizisten. Und: Er leitet ehrenamtlich die Hamburger Inline-Skating- Schule, die einzige gemeinnützige Skate-Schule in Deutschland.

Mehr als 8000 Interessierte sind seit vergangenem Jahr mit Hilfe der Skate-Schule ins Rollen gekommen. Die meisten ohne Clerasil-Flasche in der Tasche. „Das ist ein total verfälschtes Bild in den Medien“, ärgert sich Nagel immer wieder. 75 Prozent der Skater sind – meist erwachsene – Fitneß- und Freizeitläufer, schätzt der Deutsche Inline-Skate-Verband. Die Kameraleute aber halten auf die jungen Freaks, die springen und Geländer runterrutschen. Die meisten TeilnehmerInnen der Skate-Kurse seien „im Mittelalter“, erzählt Nagel, „so zwischen 25 und 55 Jahren“. Viele davon haben seit Jahren keinen Sport mehr gemacht. Neunzig Prozent blieben dennoch dabei, liefen ein- bis dreimal die Woche. Ursache des Erfolges? „Beim Skaten muß man keinen inneren Schweinehund überwinden.“

Über Schul- und Ferienkurse versucht die Skate-Schule, möglichst vielen Kindern das Rollen beizubringen. Natürlich zum Spaß, aber auch zu ihrer Sicherheit. „Wir stellen als Sportwissenschaftler immer häufiger Wahrnehmungsdefizite bei Kindern fest“, erklärt Nagel. Und das kann gefährlich werden, etwa im Straßenverkehr. „Man bewältigt eine Situation nur so gut, wie man sie wahrnimmt.“Sportarten, bei denen die Kinder ihre Umgebung beobachten und schnell reagieren müssen, schärfen die Sinne – beispielsweise Fußball, Ski-Fahren. Oder Inline-Skaten.

Das besonders Gute am Skaten: Es schult den Gleichgewichtssinn – sozusagen den Anker der menschlichen Wahrnehmung. Wer einen guten Gleichgewichtssinn hat, kann andere Eindrücke – etwa über Augen und Ohren – besser koordinieren, kann schwierige Situation besser meistern.

Selbst Profisportler profitieren von der neuen Bewegungsmethode. Weltklassesurferin Andrea Hoeppner verbessert damit ihre Balance, Tennisspielerin Martina Hingis trainiert ihre Beinarbeit, die Skinationalmannschaft perfektioniert Körperhaltung und Kanteneinsatz auf dem Asphalt. Auch dafür hat die Wissenschaft einen Namen gefunden: Cross-Training. Maßgeblich entwickelt an der Uni Hamburg.

150.000 SkaterInnen gibt es nach Schätzung des Hamburger Sportbundes in der Stadt. Die Skate-Hochburg Deutschlands? „Vom institutionellen Angebot her schon“, meint Nagel. Die Skate-Schule, Polizei, Schulleiter – viele zögen an einem Strang. „Aber es gibt einfach zu wenig Bewegungsräume.“Die Bezirke prüfen zur Zeit, ob sie wenig befahrene Straßen in der Innenstadt und in Uninähe abends oder am Wochenende für den neuen Sport sperren. Bis dahin können sich Skater an den Tourenatlas der Schule halten (siehe Kasten). Aber Achtung: Heike D. aus Hamburg könnte Ihre Wege kreuzen. Skates seien „viel besser als die ollen Rollschuhe. Ich glaube, ich kauf' mir auch bald welche.“

Informationen zu Skate-Kursen bei der Skate-Schule HIS, Mollerstr. 2, 20148 Hamburg,