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Mutige Heldin trifft Mutterland

■ In der populären russischen Frauensendung "Ich selbst" werden weibliche Befindlichkeiten und Probleme jenseits von Herd und Kleiderschrank öffentlich diskutiert - eine kleine Revolution

„Ja sama“ heißt auf russisch: „Ich selbst“ oder „Laßt mich mal machen“ – vorausgesetzt, es spricht eine Frau. „Ja sama“ heißt auch die erste russische Fernsehsendung von Frauen für Frauen, die mehr ist als ein Koch- und Modeprogramm. Sie läuft wöchentlich im privaten sechsten Kanal und hat höchste Einschaltquoten – nicht zuletzt dank der neugierig zuschauenden Männer. In den zwei Jahren ihres Bestehens hat die Sendung viele Themen angeschnitten, die auch in der modernen russischen Öffentlichkeit noch weitgehend tabu sind oder doch zumindest nicht öffentlich diskutiert werden, wie Abtreibung, sexuelle Schwierigkeiten in der Ehe oder – ganz aktuell – die Probleme einer Frau mit Kind, deren Mann unter die neurussischen Businessmeny gegangen ist und sich nur noch um Geld und Kumpels kümmert.

Im Mittelpunkt der streng choreographierten Studiokulisse sitzt die jeweilige „Heldin“ der Sendung – eine Frau, die bereit ist, ihre Probleme und ihr Innerstes zu offenbaren – ein für Rußland geradezu revolutionärer Vorgang. Ihr gegenüber sitzen etwa 60 Zuschauerinnen auf einer Tribüne, die im Studiojargon „das Mutterland“ heißt. Seitlich davon befindet sich, eingezäunt wie ein Kaninchengehege, die „Insel“ – mit Raum für etwa acht bis zehn Männer. Diese beiden Gruppen werden hin und wieder aufgefordert, mit Fragen und Kommentaren in das Geschehen einzugreifen.

Gegen Ende der Sendung rücken dann die beiden „Expertinnen“ näher ins Bild, die die „Heldin“ einrahmen. Rechts lächelt, milde wie der Mond, die blonde Graphologin Olga Serdobowa. Aus ihr spricht die Stimme des gesunden Menschenverstandes, auch „Tradition“ genannt. Links thront mit zotteliger Zigeunermähne und häufig unmutzerfurchter Stirn die feministische Dramatikerin Marija (Mascha) Arbatowa.

Zwischen allen flitzt wie ein Weberschiffchen die Moderatorin umher: Julija Menschowa, 27 Jahre alt und Tochter des Filmregisseurs und Oscar-Preisträgers Wladimir Menschow. Nach 14 Theaterrollen und vier Filmen schmiß Julija ihre Schauspielerinnenlaufbahn hin und ging zum Fernsehen, wo man ihr eiserne Disziplin und Taktgefühl bescheinigt. Ihr Mimikrepertoire im Studio umfaßt allerdings nicht mehr als drei oder vier Gesichtsausdrücke. Der häufigste ist ein erstauntes Aufreißen der Augen: „Was Sie nicht sagen!“ Doch obwohl es ihr sichtlich an Souveränität mangelt, verfügt sie über eine Stimme, die auch angesichts haarsträubender Wendungen im Geschehen stets sachlich im Erdgeschoß bleibt – eine Seltenheit bei russischen Moderatorinnen.

Für westliche Begriffe werden die „Heldinnen“ nicht gerade hart in die Zange genommen, Seelen- Striptease findet hier nicht statt. Dennoch betont Moderatorin Julija immer wieder den außerordentlichen Mut, den die „Heldinnen“ für ihren Schritt in die Öffentlichkeit benötigen. Die häufigste Frage in der Zuschauerinnenpost lautet: „Was treibt jemanden dazu, sein Privatleben den Blicken des ganzen Landes auszusetzen?“ „Traditionalistin“ Olga Serdobowa meint dazu: „Dieses Ereignis wird die ,Heldin‘ prägen. Hier erhält sie die Chance, einmal innezuhalten und über ihr Leben nachzudenken. Für einige der Frauen, die zu uns kommen, scheint das der einzige Ausweg zu sein. Andere wünschen sich einfach die Chance, sich selbst auf dem Fernsehschirm mit ein bißchen mehr Abstand betrachten zu können.“

In einem Lande, in dem die Bevölkerung jahrzehntelang mit Verhaltensanweisungen gegängelt wurde und jeder auch durch sein Privatleben Linientreue demonstrieren mußte, wirkt die Erkenntnis revolutionär, daß ein persönliches Problem von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet und auf mehrere Arten gelöst werden kann. Zumal die Mehrzahl der Russinnen den Gang zum Psychotherapeuten auch heute noch für ein Anzeichen schwerer Geisteskrankheit hält.

Marija Arbatowa steht zur Konzeption der Sendung, sieht aber auch deren Schwachstellen: „Wir können natürlich nicht verhindern, daß die meisten ,Heldinnen‘ sich selbst und uns belügen. Viele wollen gar nichts an ihrem Leben ändern, sondern durch ihren Auftritt nur ihrem Partner imponieren und Druck auf ihn ausüben.“

„Expertin“ Mascha kratzt mit ihren gepflegten Fingernägeln gern am spezifisch russischen Weiblichkeitswahn. Durch die Zuschauerinnen-Reihen geht immer ein Stöhnen, wenn sie die Mutterschaft als höchsten Wert in Frage stellt und etwa der Frau mit dem unzuverlässigen Businessman vorwirft: „Ich wundere mich über Ihr infantiles Verhalten. Wie konnten Sie nur ein Kind in die Welt setzen, als sie gerade beruflich gescheitert waren und nicht wußten, wie sie es ernähren sollen?“ Im großen und ganzen wecken ihre Provokationen aber belustigte Zustimmung, ja sogar Begeisterung beim weiblichen Publikum.

Die männlichen Kommentare von der „Insel“ lassen die dort Versammelten als eine Herde selbstzufriedener Hengste erscheinen. Ein Waleri kommentierte den Businessman-Fall, die dort herrschende Stimmung zusammenfassend, jedenfalls so: „Wenn er kein Geld hat, gefällt es ihr nicht, und wenn er welches nach Hause bringt, gefällt es ihr auch nicht. Da sieht man mal wieder: Frauen sind ihrer Natur nach eben unlogisch.“

Fragt man Moskauer Pförtnerinnen, bewerten diese den immer gleich vernagelten Eindruck, den die wechselnden „Insel“-Bewohner hinterlassen, als durchaus repräsentativ für den russischen Mann. Dagegen empfinden halbwegs intellektuelle russische Männer die Art, wie sie in dieser Sendung repräsentiert werden, als ehrenrührig und argwöhnen, das Programm sei „feministisch gelenkt“.

So fragt sich Leonid Kostjukow, Kritiker der Tageszeitung Kommersant, in bezug auf Mascha: „Weshalb diese sympathische junge Frau die Rolle der Teufelin auf sich genommen hat, kann man höchstens raten.“ Und meint weiter: „Überhaupt legt sich der russische Feminismus auf imposante Weise als neue Schicht über den alten Weiberschnack: alle Männer sind Schweine.“ Doch outet er sich durchaus als „Ja sama“-Fan und schließt eher ratlos: „Diese absurde Welt, in der sich das Normale erstaunlich gebärdet und das Erstaunliche ganz normal daherkommt, führt uns in eine metaphysische Schwerelosigkeit. Ja, wir fallen. Aber es zeigt sich vielleicht, daß wir nicht hart aufschlagen, sondern nur – mit weit aufgerissenen Augen – dahintreiben wie ein Herbstblatt.“ Barbara Kerneck

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