: „Das ist Streß, das ist Chaos“
■ Der Sommerschlußverkauf ist da und für die VerkäuferInnen die stressigste Arbeitszeit im Jahr Während die Arbeitgeber mit schlechten Umsatzzahlen ringen, fällt für die VerkäuferInnen in der Lohntüte immer weniger Lohn ab
„Das ist Streß“, sagt Nina (Name geändert). Seit einer halben Stunde steht sie schon in der Kinderabteilung an der Kasse, reißt Bons ab und steckt spottbillige Kinder-T-Shirts in Tüten. Sechs junge Mütter in der Schlange vor der Kasse mustern sie – die Geldscheine schon zwischen den Fingern, Kleiderbügel in der Hand. Es ist der erste Sommer-Schlußverkaufstag, seit die Geschäfte bis 20 Uhr öffnen dürfen.
„Reduziert, reduziert, reduziert“– diese roten Signalschilder hängen im Kaufhof an jeder freien Wand. Doch die Stimmung bei den Verkäuferinnen ist mau. „Chaos, das ist Chaos hier“, sagt Lehrling Nina – und tütet weiter heruntergesetzte T-Shirts, Strampelanzüge und Shorts ein. Vor zwei Jahren hätte der Kaufhof sie nach der Lehre noch als Vollzeitverkäuferin übernommen. „Aber das ist jetzt vorbei. Die bieten den Azubis nur noch Teilzeitstellen an“, weiß sie. „Als Azubi verdiene ich im ersten und zweiten Lehrjahr rund 1.000 Mark“, sagt Nina. „Aber als Teilzeitkraft nur so 1.200 Mark zu bekommen, ist ziemlich miserabel.“Zum neuen Ladenschluß fällt ihr nicht viel ein, und auch eine Kollegin sagt: „Da brauchen wir gar nichts mehr zu machen, das ist jetzt so – und damit basta.“
Bis 20 Uhr wird Nina wohl heute an der Kasse schuften. Seit 8.30 Uhr steht die Azubin im zweiten Lehrjahr schon im Laden. Der Kaufhof hat für Nina und ihre Kolleginnen Freizeitsysteme erarbeitet: Wer zum Beispiel vier Wochen lang vier Tage bis 20 Uhr durcharbeitet, bekommt jeweils zwei Tage die Woche frei. Für die Arbeit nach 18.30 Uhr müssen die Arbeitgeber seit dem neuen Ladenschlußgesetz 20prozentige Zuschläge zahlen.
„Das drückt auf unsere Kosten, die ohnehin steigen“, sagt dazu Wolfgang Brakhane, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Nordsee. Die Umsätze seien in den letzten beiden „Katastrophenjahren“um bis zu drei Prozent zurückgegangen – bei weniger kaufkräftiger Kundschaft. Vom Hoffnungsträger „Ladenschlußgesetz“sei als „Matchwinner“für die City-Läden lediglich der Samstag übriggeblieben. An den Wochentagen bis 20 Uhr habe man weiterhin mit der „ARD-Tagesschau-Gesellschaft“zu kämpfen – während die Zentren auf der grünen Wiese wie der Weserpark gut Kasse machten.
Die schlechten Zeiten im Einzelhandel spüren die Verkäuferinnen am eigenen Geldbeutel: Vor zwei Wochen zurrte die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) mit den Bremer Arbeitgebern einen neuen Tarifvertrag für ihre Mitglieder unter den insgesamt 30.000 Bremer Beschäftigten im Einzelhandel fest: Nur 1,5 Prozent mehr Geld wird eine Verkäuferin dann ab 1. September in der Lohntüte haben. Das sind im ersten Berufsjahr nach dreijähriger Lehrzeit 2.538 Mark brutto, statt bisher 2.500 Mark im Monat. Dabei konnten die Gewerkschaften vor vier Jahren noch bis zu 4,5 Prozent höhere Gehälter erkämpfen.
Weil das Alltagsgeschäft so schlecht läuft, setzt Einzelhandelsfunktionär Brakhane voll auf den Sommerschlußverkauf. Mit Schnäppchenpreisen, um bis zu 70 Prozent sind Sommerkleider oder Shorts reduziert, sollen 80 Millionen Mark Umsatz gemacht werden – um damit wenigstens das Vorjahres-Ergebnis zu erreichen.
Um die festen Kosten zu drücken, setzen die Kaufhäuser auf Teilzeitjobs: Zu diesem Ergebnis kommt die Gewerkschaft DAG. In 52 von der Bremer DAG beobachteten Läden (im Land Bremen gibt es insgesamt 5.700 Einzelhandelsgeschäfte) wurden letztes Jahr 90 Vollzeitstellen in Teilzeit umgewandelt – und außerdem 90 VerkäuferInnen entlassen. „Der neue Ladenschluß hat keine neuen Vollzeitarbeitsplätze geschaffen“, sagt Karin Peetz, DAG-Gewerkschaftssekretärin. Das gibt auch Kaufhof-Geschäftsführer Horst Brinkmann zu: „Das ist so. Das können sie auch so schreiben“, sagt er.
Gerade im Sommerschlußverkauf läuft nichts ohne zusätzliche Aushilfen – wie Studentin Anna, die an ihrem ersten Tag im Kaufhof bereits seit fünf Stunden am Grabbeltisch steht. „Grausig ist das hier, grausig“, sagt die junge Frau. „Die Leute grabbeln sofort wieder durcheinander, was ich gerade zusammengelegt hatte“, erzählt sie – und lacht dabei. Aber in zwei Wochen ist ihr Aushilfsjobs schon wieder vorbei.
Für Azubi Nina dagegen beginnt nach dem Sommerschlußverkauf aber der normale Alltag. Ob sie aber nach ihrem dritten Lehrjahr in der Kaufhof Kinderabteilung als ausgebildete „Einzelhandelskauffrau“auch als Teilzeitkraft weitermachen würde, weiß Nina noch nicht. „Man kann sich ja auch was anderes überlegen“, sagt sie und will weitererzählen – aber dann ist auch schon der nächste Kunde an der Kassen – und so wird es wohl für Nina und ihre Kolleginnen bis zum 9. September weitergehen. Solange läuft die Schnäppchenjagd.
kat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen