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Kaum Einsatz auf Nairobi Girl

Wenn die Sonnenhüte die VIP-Tribüne schon verlassen, hoffen Zocker in der Derby-Woche auf den Berliner Trabrennbahnen noch auf ein paar Mark  ■ Von Basil Wegener

Klaus steht hochkonzentriert unter einem der Monitore. Ruhig studiert er die Zahlenreihen; dann senkt er seinen Blick ruckartig auf die Startlisten in seiner Hand. In Klaus' Kopf arbeitet es: Kann man das Pferd Fellow auf Sieg setzen? Erreicht Silberschmuck einen Platz? Für die Minuten vor dem Ausfüllen des Wettscheins könnte es mehrere Namen geben: Vermutung, Wissen, plötzliche Eingebung?

Für die Derby-Woche auf den Trabrennbahnen in Mariendorf und Karlshorst hat sich Klaus frei genommen. „Meine Frau“, sagt der Fernfahrer, „sieht es nicht so gern, wenn ich wette.“ Nun hat er die Wett-Kombinationen für seinen 30-Mark-Einsatz zusammen und eilt durch die Mariendorfer Halle – durch die Bahnhofshallen- Atmosphäre – zu den Kassen. Neonröhren, Stehtische und der unbarmherzig durchs gesamte Gelände hallende Bahnsprecher stören die Zocker nicht. Sie haben nur einen Blick für die Gewinnquoten, die auf den Bildschirmen erscheinen, und hoffen auf ein paar hundert Mark.

Die Monitore sind Thomas Feldhahn egal. Der Trainer und Fahrer sitzt in dem kleinen Büro seines Stalls und wartet auf seinen Start in vier Stunden. Mit seiner Stute Nairobi Girl möchte er auf den dritten bis fünften Platz fahren, mehr ist für ihn heute nicht drin. Den Höhepunkt des Tages, das mit immerhin 60.000 Mark dotierte „Charlie Mills“-Memorial, bei dem auch Weltmeister Heinz Wewering startet, wird er sich hier auf dem Schirm ansehen. Elf Pferde hat Feldhahn in seinem Stall, nur fünf davon laufen Rennen. „Was wir haben, wäre bei Wewering nur die dritte Garnitur“, sagt Feldhahn. Sein letztes Rennen hat der Trainer vor zwei Monaten gewonnen.

Für die Besitzer ist mit Nairobi Girl nichts zu verdienen. Selbst wenn sie den dritten Platz erreichen würde, bekäme sie bei diesem schwach dotierten Rennen nur ein Preisgeld von 600 Mark. Training und Unterhalt des Pferdes kosten im Jahr aber etwa 15.000. Kein Wunder, daß Trainer Feldhahn die Besitzer davonliefen. Vor einigen Jahren hatte er noch doppelt so viele Pferde in seinem Stall. Oft reichen die Geschäftsbeziehungen der Kleintrainer nicht weit über den Freundes- und Familienkreis hinaus. Nairobi Girl gehört der Mutter und dem Stiefvater von Karin Feldhahn.

Im Trabrennsport kriselt es seit Jahren. Die Wettumsätze in Mariendorf gehen zurück, im ersten Halbjahr dieses Jahres, verglichen mit dem Vorjahr, noch mal um 6,3 Prozent auf 14,6 Millionen Mark. Mariendorf und Karlshorst konkurrieren um die Pferde. Dazu kommt die Galoppbahn in Hoppegarten. Die Derby-Woche, an der von Mittwoch bis Sonntag teilweise hochdotierte Rennen in Mariendorf und am Dienstag in Karlshorst stattfinden, soll die Wetter wieder anlocken. Am Sonntag brachten die 12.000 Zuschauer immerhin einen Wettumsatz von 864.000 Mark und damit 130.000 Mark mehr als im vergangenen Jahr.

Kurt Peters hat schon vor Jahren mit dem Wetten aufgehört. „Die Quoten gefallen mir nicht mehr“, sagt er. Weit weg von den Monitoren, auf der neuen Tribüne, sitzt der 90jährige Herr mit seinem Freund, den sie hier nur „Baron“ nennen. So wie seit Jahrzehnten. Als Peters 1918 von seinem Vater in den Mariendorfer Rennzirkus eingeführt wurde, mußte der Junge an der Bahn den Eintritt der Pferde beobachten und seinem Vater an den einfachen Holzkassen per Armbewegung die letzten Tips geben.

„Pferde sind Lebewesen“, wirft der Baron (76) neben ihm ein, „mit nervlichen und physischen Schwankungen.“ Der alte Mann verabscheut die Monitore und die ganzen Spekulationen über die Favoriten, wie sie auch im allgegenwärtigen Traberkurier angestellt werden. Er sitzt lieber auf der Tribüne und sieht sich die Pferde beim Warmlaufen an. Ihre Statur, die Trabhaltung, die Nervosität. „Ich bin kein Glücksspieler“, sagt er. Auch wenn so ein Renntag dreizehn Starts hat, bewegt er sich höchstens dreimal zu den Kassen. Kurt Peters packt Stulle und Thermoskanne aus. Wenn es bei diesen Herren Wettfieber gibt, dann können sie es jedenfalls gut verbergen. Erst mal wird gevespert.

Das „Charlie Mills“-Memorial hat schon seit einer halben Stunde mit dem Schweden Erik Adielsson auf Rival Damkaer seinen mit 30.000 Mark belohnten Überraschungssieger. Die wenigen Sonnenhüte in Sondergrößen verlassen schon langsam die etwas abseits gelegene VIP-Tribüne. Thomas Feldhahn aber, in blauweißem Renndreß und braunen Stiefeln, lehnt noch vor seinem Stall. Aufgeregt? Sei er vor dem Start nicht. Im Gegensatz zu seiner Frau.

Im Spielcasino sitzt Karin Feldhahn mit Freunden und der Familie. Aus einem Transistorradio scheppert Musik. Vor dem Start zittert sie sich eine letzte Zigarette aus der Schachtel. Karin Feldhahn kann nicht hinsehen. Sie sitzt mit dem Rücken zur Bahn und bläst Rauch in die untergehende Sonne. „Gut gestartet!“ ruft einer am Tisch. Dann verstummt er. Nairobi Girl ist auf der Innenbahn eingeklemmt. „Der kommt da raus!“ schreien sie am Tisch. Fünf Meter hinter Karin Feldhahns Rücken trappeln die Pferde vorbei. Erwartungsvoll blickt sie reihum: Sie findet Anspannung in den Gesichtern. Plötzlich brüllen alle. In der letzten Kurve hat sich Nairobi Girl befreit und trabt auf den dritten Platz zu.

„Dritter!“ ruft Karin Feldhahn. Sie strahlt. Nun bekommt ihr Mann 60 Mark von der 600-Mark- Prämie. Der Tag hat sich gelohnt.

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