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„Die Deiche zerrinnen unter unseren Händen“

■ Keine Entwarnung in der Oder-Region: Heute wird neue Flutwelle erwartet. Rückversicherung schätzt die Gesamtschäden durch die Flut auf 10 Milliarden Mark

Frankfurt (Oder)/München (dpa/AP) – Längere Pausen gibt es für die Helfer im Hochwassergebiet an der Oder bis auf weiteres nicht. Gestern wurde die Evakuierung von ungefähr 20.000 Bewohnern des Oderbruchs vorbereitet, nachdem in den Tagen zuvor bereits 5.000 Menschen aus 17 Gemeinden ihre Häuser verlassen hatten.

Tausende von Helfern versuchen nach wie vor, die Deiche mit Sandsäcken und Reisig zu verstärken. Dennoch mußte der Leiter des Katastrophenstabes, Michael Muth, eingestehen: „Die Deiche zerrinnen uns sozusagen unter den Händen.“ Eine weitere Flutwelle rollt unterdessen von Süden heran und soll Dienstag abend Ratzdorf, den Ort, an dem Oder und Neiße zusammenfließen, erreicht haben. Das Dorf soll nun mit einem 400 Meter langen und 1,50 Meter hohen Wall auf der rückwärtigen Seite zusätzlich gegen die Oder gesichert werden. 200 Bundeswehrsoldaten sollen die Dammbauarbeiten in der letzten Nacht abgeschlossen haben.

Die Münchener Rückversicherung, weltweit größte Versicherung für Versicherungen, schätzt die materiellen Schäden durch die Flut in Tschechien, Polen und Brandenburg auf insgesamt zehn Milliarden Mark; auf Brandenburg entfalle davon ein Betrag von „deutlich unter drei Milliarden“. Nach Einschätzung von Geowissenschaftlern des Versicherungskonzerns liegt die Ursache für die Überschwemmungen vermutlich in der allgemeinen Klimaveränderung. Spekulationen, wonach eine falsche Besiedlungspolitik oder überalterte Deiche die Katastrophe ausgelöst oder verschlimmert haben könnten, seien falsch.

Nach Ansicht der Versicherungsexperten stehen die deutschen Hochwasseropfer im Vergleich zu den betroffenen Anwohnern in Polen und Tschechien relativ gut bei der Schadensbegleichung da. In Brandenburg hätten noch viele Menschen Haushalts- und Gebäudeversicherungen aus DDR-Zeiten, die auch die Regulierung von Hochwasserschäden umfassen.

Weitere Bundeshilfen für Landwirte in der überfluteten Oder-Region stellte Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU) in Aussicht. Er besuchte gestern Bauern in den Hochwassergebieten. Für den Augenblick benötigen die Katastrophenhelfer allerdings vor allem Sandsäcke und technische Geräte wie etwa Pumpen. An Helfern zum Schaufeln und Säcke-Füllen fehlt es dagegen nicht; nahezu 14.000 sind derzeit im Einsatz. Berichte Seite 5

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