Ein Büro, das Triebwerke baut

In Dahlewitz produziert ein Tochterunternehmen von BMW und Rolls Royce Düsentriebwerke für Geschäftsjets. Die Marktlücke schafft 1.000 Jobs. Monteure quittieren per Stempel jeden Handgriff  ■ Von Hannes Koch

Alle zwei Tage wird die Fabrikhalle naß gewischt. Kein Körnchen liegt auf dem graugestrichenen Betonboden. Makellose orangefarbene Linien markieren die Arbeitsbereiche der Monteure und warnen vor unzulässigem Überschreiten. Farbe blättert nirgendwo ab: Die britische Telefonzelle vor der Halle ist so rot wie eine am Buckingham Palace, und der gepflegte Rasen mutet so grün an wie einer in der Schweiz.

Hier ist das Arbeitsleben in Ordnung. Heute schon arbeiten rund 1.000 Entwickler und Monteure in der Fabrik für Flugzeugtriebwerke in Dahlewitz südlich von Berlin – eine seltene Erfolgsstory in der konkursgebeutelten Region Berlin-Brandenburg. Nach Plan sollten es eigentlich erst 800 MitarbeiterInnen sein.

Doch BMW und Rolls Royce haben mit ihrem Gemeinschaftsprojekt – die Bayern halten 50,5, die Briten 49,5 Prozent – eine Marktlücke aufgetan. Die modernen Düsenmotoren vom Typ BR 700 und ihre Variationen finden guten Absatz bei den Herstellern von Geschäftsreiseflugzeugen für lange Strecken, die bei den Chefs großer Unternehmen immer mehr in Mode kommen. Der Umsatz mit bis zu 600 Millionen Mark in diesem Jahr und der Absatz von 70 Triebwerken tendieren in Richtung schwarze Zahlen. Nach dem Jahr 2000 will man mit 300 Aggregaten jährlich die Kapazitätsgrenze und Gewinnzone erreichen. Bis das Werk dann Gewinn abwerfen soll, halten sich die Verluste im geplanten Rahmen (1996: 634 Millionen Mark). Das reduziert die Steuern der Eigentümer.

An den Montageplätzen sind die halbfertigen, stahlglänzenden Flugmotoren mit ihrem Gewirr aus Leitungen, Drähten und Kabeln umgeben von zahllosen Schreibtischen. Dort stehen Unmengen von Ordnern und Handbüchern. Den Einbau jedes noch so kleinen Teiles entnehmen die Mechaniker detaillierten Arbeitsblättern und quittieren den ausgeführten Vorgang mit individuellen Stempeln. Der Name des Arbeiters und alle Daten werden auf Jahrzehnte archiviert: Auflagen des Luftfahrtbundesamtes, um Fehler zu vermeiden und etwaige Unfälle zurückverfolgen zu können. Auch die Sauberkeit soll der Sicherheit dienen: Keine Staubflocke und kein abgebrochenes Metallstückchen darf in die komplizierten Aggregate geraten.

Die Werkhalle nimmt sich aus wie ein riesiges Büro, nur auf einzelnen Inseln findet noch Handarbeit statt. Die komplette Stirnseite des Gebäudes beanspruchen zwei Stockwerke mit Arbeitsräumen, in denen an unzähligen Computern fleißig gearbeitet wird. Dort sitzen Ingenieure, die Werkzeuge entwerfen, Prüfer, die die Arbeit der Monteure kontrollieren, und die Leute vom Wareneingang, die den unentwegt eintreffenden Nachschub sofort auf die Arbeitsplätze verteilen. Lagerhaltung? „Nahe null“, sagt Pressesprecher Peter Isendahl. 80 Prozent der Teile legen von den Zulieferern in Großbritannien und anderen Orten große Wege zurück und kommen exakt zum Zeitpunkt des Einbaus („just in time“) in Dahlewitz an.

Isendahl schätzt, daß auf acht Schreibtischarbeiter nur ein Praktiker kommt. Dieses Verhältnis erklärt sich aus der Ausrichtung des im September 1993 eröffnet Werkes: Es dient in erster Linie der Weiterentwicklung der Triebwerke vom Typ BR 700 – und ihrer Endmontage.

Nicht zuletzt der Abhängigkeit vom Import ist die Ansiedlung an der Autobahn und unweit des Flughafens Schönefeld geschuldet. Schnelle Flugverbindungen braucht das Werk, um Ersatzteile für schon verkaufte Triebwerke „binnen Stunden“, so Isendahl, in die USA schaffen zu können. Für die BMW/Rolls-Royce-Zentrale in Oberursel war außerdem entscheidend, daß der neue Markt des Ostens vor der Türe liegt.

Die Beschäftigten haben, wie Betriebsrat Wolfgang Denzin sagt, ihre neuen Arbeitsplätze nicht mit Opfern bei der Bezahlung erkaufen müssen. Der Tarifvertrag garantiere eine nahezu identische Bezahlung wie im Stammwerk. Auch die rund 300 Beschäftigten , die ursprünglich von Rolls Royce kamen, erhalten denselben Lohn. Etwas lockerer geht es bei den Arbeitszeiten zu. Der Betriebsrat genehmigt auch Zehnstundenschichten, wenn ein Triebwerk auf dem Teststand probeläuft.

Das Land Brandenburg hat sich die Ansiedlung am südlichen Rand der Großstadt etwas kosten lassen. Die Investition zum Aufbau des Werkes von insgesamt rund 300 Millionen Mark wurde mit 90 Millionen Mark subventioniert.