: SSV wird zu S/M
■ Wenn Designer baden gehen: Ein Schaufensterbummel zum Sommerschluß
Nicht mehr der Gebrauchswert einer Ware wird verkauft, sondern ein ganzes Weltbild, das als unsichtbares Aurasoma, irgendwie heiligenscheinartig, das Produkt umgaukelt. So erklären's uns unsere Wirschafts- und Mediengurus, Gerken, Bolz, die ganzen Gaukler eben. Kein Lockenwickler ohne Charakter, kein Mehrzweckkleber ohne Ausstrahlung.
Wie aber präsentieren die Schaufenster der Bremer Innenstadt das offenliegende Geheimnis der Waren? Wie verkaufen sie den Schlußverkauf? Was tut die Werbebranche für ihr Geld? Mit neugierigem Blick und strengem Notenbuch streifen wir durch den Warendschungel.
Unseren Rundgang beginnen wir nahe am Touri-Wurst-Pavillion beim Sockenstand, kurz und prägnant „Martin's Strümpfe“genannt. Die Ware ist übersichtlich präsentiert, Angebot und Preis sind schnell zu erkennen: „Socken ohne Gummizug, 3 Paar 15 Mark.“Das ist klasse; das ist funktionalistische Klarheit ; sie soll uns ein Maßstab sein auf unserer Schaufenster-Inspektion. Note 1.
Also Sommerschlußverkauf: Juwelier Weiss denkt bei Sommer an Meer: Anker und allerlei Getiersreste, Muscheln und so, sind unters Gold gemischt. Der Neue Rockspezialist denkt bei Sommer an Meer. Netze finden sich unter Kleidern wieder. Auch Christ denkt bei Sommer an Meer. Wieder Muscheln. Muschelverkäufer müßte man sein. Schreiber Modeschuh dagegen denkt bei Sommer an Meer: Inselbilder, gerahmt in Bambusstecken.
Wo sind die ganzen Absolventen von Designschulen. Vielleicht am Meer, Baden. Und wir müssen es ausbaden, als ästhetische Beleidigung. Auch Finke, der solide Herrenausstatter, denkt nicht weiter als ans Segeln, allerdings in äußerst kultivierter Weise. Korrumpiert durch Schönheit, lassen wir uns erweichen, 2-3.
Ganz anders Salamander. Derb blinkt uns „Reduziert, reduziert“ins Auge, möglichst trashig. Als wollte man uns sagen: Nein, nein, wir sind gar nicht hochwertiger als Deichmann. Auch wir erfreuen Sie mit minderwertiger Massenware. Verschwunden der Spieltrieb der uns in fernen Kindertagen Lurchi, den Feuersalamander bescherte. Der Schuh bleibt nackt. Gnadenlos verteilen wir, Note 6.
Auch die Elektrogeräte von Brinckmann sind ungetrübt von jedem gestalterischen Einfall. Nur eine kleine orangefarbene Plastikorange, sanft gekippt gegen eine Saftpresse, zeigt, daß kreatives Potential durchaus im Hause vorhanden wäre. Dennoch: Das Schaufenster will nichts anderes, als unwiderlegbaren beweisen, daß hier, in diesem Laden jedes, wirklich jedes denkbare steckdosenbereite Gerät in mindestens zwei Ausführungen vorhanden ist. Klug ausgetüftelten Regalsystemen aus Styropor und Spanplatten, elegant ausgelegt mit Kunstrasen, bilden den Boden für wirtschaftspolitische Aussagen: Hier in diesem Lande herrscht keine Plan-Mangelwirtschaft. Alles ist zu haben. Ein politisches Bekenntnis. Das verdient die Note 4+.
Schon wenige Schritte weiter beginnen die Peinlichkeiten. Ein Gucci-Uhr, 1900 Mark, auf altrosa Samt, genau das gleiche Altrosa, der gleiche Samt, der die Couchgarnitur von Omas Kusine überzogen hat. Derselbe wohl nicht. Der war abgewetzt und landete nach Kusinchens Tod auf dem Sperrmüll zusammen mit Goldfischaquarium und Toilettenstuhl . Zurück zu Gucci. Dahinter Kunstblumen, so kunstig, wie sie Kunstblumenliebhaber nur noch in Dorfschenken der hinteren Eifel auftreiben.
Trotzdem. Note 3, denn dies Fenster ist liebenswert im Vergleich zum Grauen dahinter. Karstadt. Zunächst zwei Fenster für die Kids. Kids leben in Szenen. Die Marke für Kids heißt also Inscene. Klarer Gedanke, ohne Schnörkel. Gestaltungsidee der Schaufenstermacher: Preisschilder, die nicht stehen, nicht an Fäden baumeln, oh nein, sondern an ein greiffingerartiges Gestell geklammert sind. Ansonsten läßt man das Plakat des Herstellers sprechen. Es redet: „When will you get Inscene?!“Dann, wenn ihr besser Sprechen lernt. Trotzdem: Der Satz erscheint uns englisch, bekommt also unseren Ausländerbonus, genau wie jeder englischsprachige Popsong.
Dann aber der Horror. Riesengroße rote Texttafeln belauern uns, verführen uns, wickeln uns ein. „Sommer mit happy end.“Und: „Dieser Sommer hat etwas Besonderes.“Trickreich schleicht Karstadt um unser Unterbewußtes.
Nur eine Analyse der Mechanismen kann uns retten. Schlußverkauf, Schluß. Den wendete man – sicher ein Kreativteam – um in ein Ende, knackig, knallig, das sitzt. Das translatete man – sicher hochbezahlter marketing director – in zähen brainstorming-Verhandlungen ins Englische, the end, und dann der geniale Schlußdreh: happy end, die Assoziation an viele wunderbare Kinoabende, Hand in Hand mit der Liebsten, laue Sommernächte...
Wie kommt der dicke Holzmann ins Christfenster? Vielleicht so: „Du ick hab da so'n gräßßl Ding am Speicher gefunden. Ist das Biomüll oder Restmüll?“„Ne, den werf ma nich weg. Is doch nett, der Kerl. Und morchen is Schaufenstermachen anjesagt. Da stell ma den rein.“Das Schaufenster als Zwischenparkplatz zwischen Haus und Sperrmüll ist höchst beliebt: ein dämliches Fähnchen völlig unmotiviert in einem Buchladen, eine Goldvase unter Pullovern...
Nach der Katastrophe mit den Toscani-Fotos ist auch Benetton der Mut zur Gestaltung vergangen. „Saldi, Sale, Rebajas, Soldes, Reduziert“prunkt es groß und fett. Ein und dieselbe Sache heißt in verschiedenen Ländern verschieden, sagt uns dies hübsche Wortspiel. Die Laßt-uns-alle-Freunde-sein-Philosophie, findet eine Form, die von keinem Sittenwächter dieser Welt bestraft werden kann. Nur von uns. Note 6, erbarmungslos.
Auch Peek & Cloppenburg treibt Sprachexperimente. „Neue Kollektion“jubelt da ein Plakat. Es frohlockt so aber nicht einmal, sondern sechs mal untereinander. Seriell nennt man das, sagen Kunstwissenschaftler, hilfreich bei Sehstörungen ist es allemal. Ansonsten hat sich Peek & Cloppenburg entschieden die Ware sprechen zu lassen. Wird wohl gut so sein, denken wir, denken wir, denken wir, denken wir, denken wir, denken wir, und zeigen Erbarmen, Note 4.
Bitte aufhören, schreien Sie, liebe Leser. Aber warum soll es Ihnen besser gehen als einem Flaneur durch Bremens Innenleben: Langeweile produziert Langeweile. Walter Benjamin war es, der einst eine komplette Soziologie aus der Analyse von Passagen ableiten wollte. So weit gehen wir hier nicht. Die Ergebnisse könnten schauerlich sein. Gesagt werden muß aber: Die SSV-Präsentation erfüllt den Tatbestand der Beleidigung, wenn nicht gar S/M. Kein Witz, kein Gedankensprung, kein federleichter Einfall. Nur grob geklotzt: Es ist Schlußverkauf. bk
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