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Es müssen Funny Faces sein

Selbsterfahrungsgruppen sind nichts dagegen: Auf der Suche nach den Clowns von morgen lädt der Cirque du Soleil Akrobaten zu Auditions ein  ■ Von Elke Buhr

„B-b-b-b-bll“, macht der kleine Mann mit der Nummer 24 auf der Brust. Er sieht aus wie Dominique Pinon, der Typ mit dem zerknautschten Gesicht aus dem Film „Delicatessen“. Das ist Clown Breuer. Er macht sich warm. Jetzt gurgelt er entschlossen und erhebt die Stimme zu einem Heulen. Sofort hat er sieben Mikrofone und eine Kamera unter der Nase. Endlich ein Geräusch! Seit einiger Zeit schon wartet die Presse auf Action. Der Cirque du Soleil hat eingeladen, bei einer Audition zuzugucken. Hier werden Clowns, Komödianten und Schauspieler gesucht.

Der frankokanadische Cirque du Soleil braucht ständig neues Personal. Gleichzeitig mit „Alegria“, das zur Zeit in Berlin zu sehen ist, laufen noch zwei andere Produktionen, für die immer mal wieder Ersatz gesucht wird, und für 1998 und 1999 sind drei neue Shows für den internationalen Markt geplant. Natürlich wäre es romantischer, sich vorzustellen, daß die Zirkus-Chefs den Starken Mann aus „Alegria“ an einem kalten Winterabend in einem kleinen russischen Wanderzirkus in der Ukraine aufgetan haben. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß er sich auf eine Anzeige beworben hat, ganz ordentlich mit Lebenslauf und Paßfoto. Die zentrale Casting- Abteilung des Mammutunternehmens mit Sitz in Montreal rekrutiert nämlich über 80 Prozent der skurrilen Charakterköpfe, Tänzer, Sänger und Akrobaten, die in den Shows auftauchen, aus solchen Auditions.

Knapp über dreißig Künstler sind in die Universal Hall nach Moabit gekommen, um ihren Fun- Faktor austesten zu lassen. Brav haben sie ihre Formulare ausgefüllt: Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit.

Man spricht Englisch oder Französisch, auch aus Brasilien ist jemand angereist. Der Leiter der Audition, ein dynamischer, kleiner Italiener, dirigiert die Gruppe mehr wie bei einem Workshop als bei einem Vorsprechen: viele Improvisationsübungen, viel Gruppendynamik und am Schluß erst die vorbereitete Einzelnummer. Langsam biegt die wasserstoffblonde Berlinerin mit der Nummer 33 über dem Tigershirt ihre Nase in Richtung Knie. Auch sie gibt jetzt Laute von sich: Ein tiefes Stöhnen kommt aus der Richtung ihrer quietschrot geschminkten Lippen. Der Körper ist bereit für die ersten Improvisationen.

Neben ihr versucht sich die Nummer 22, eine ältere, rotgefärbte Frau mit schwarzem Shirt und wahnsinnig langen Händen, an ein paar Kungfu-Bewegungen. Die Bewegungen, die das junge Mädchen mit der Jeans macht, sehen auch ein bißchen aus wie Pantomime. Sie übersetzt aber nur die Anweisungen des Trainers für die Nummer 23. Der lockige Grimassenkünstler ist gehörlos.

„Wir haben nicht so genaue Vorstellungen, wen wir hier suchen“, erklärt André Vallerand, Akrobatiktrainer beim Cirque du Soleil und eines von vier Mitgliedern der Jury. „Alter, Geschlecht, das ist egal. Es müssen nur Funny Faces sein, die die Leute zum Lachen bringen können.“ Und zu einem Funny Face gehört auch ein Funny Body: Körpersprache ist wichtig, Bühnenpräsenz, sich bewegen können.

Mario Valdez' quadratische kleine Gestalt bewegt sich wie ein Blitz, nur viel eckiger. Mit weitausgebreiteten Armen düst der Indio aus Peru – Nummer 12 – bei der ersten Improvisation durch die Halle und legt ein Grinsen hin, das schon ziemlich clownsmäßig aussieht. Er ist einer der wenigen Profis bei der Audition, seit 30 Jahren im Job, zur Zeit wohnhaft in Villingen- Schwenningen. Wenn er hier nicht angenommen wird, muß er halt die kleinen Villingen-Schwenninger weiter mit seinem heiseren Kreischen erschrecken – er sieht's gelassen: „Wenn ich komme, ist gut, wenn nicht, ich gehe meinen Weg.“

Die meisten Bewerber sind jünger als Mario Valdez. Viele kommen aus der freien Theaterszene, hoffen auf den großen Karrierekick und sind entsprechend nervös. Zur Auflockerung dürfen sie sich deshalb zu zehnt auf einem Barhocker stapeln und dann zu einem Baum voller Affen werden – Selbsterfahrungsgruppen sind nichts dagegen. Die Videokamera läuft. Wer hier durchkommt, hat den Vertrag noch längst nicht sicher. Die endgültige Entscheidung wird in der Zentrale in Montreal anhand der Aufzeichnungen getroffen.

Jetzt wird's ernst: „Ich möchte, daß ihr uns in zehn Sekunden zum Lachen bringt. Ihr habt zwei Minuten zum Überlegen“, sagt der Trainer. Nummer 4 zieht sich langsam einen virtuellen Popel aus der Nase. Der Trainer grinst. Immerhin.

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