: Kleine Wende in der Ausländerpolitik
Ein Bericht unterbreitet der französischen Regierung Vorschläge zur Entschärfung des Einwanderungs- und Asylrechts, ohne aber die bisherigen Gesetze gänzlich abzuschaffen ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Eine radikale Korrektur, aber keine grundsätzliche Wende der bisherigen Immigrationspolitik schlägt der Sozialwissenschaftler Patrick Weil dem französischen Premierminister in zwei gestern fertiggestellten Berichten vor. Frankreich soll nach seiner Empfehlung zum republikanischen ius solis – Bodenrecht – zurückkehren, das im Lande Geborenen automatisch die Staatsangehörigkeit garantiert, die zahlreichen in den Pasqua- und Debré-Gesetzen vorgesehenen Schikanen gegen Immigranten abschaffen, die Familienzusammenführung und die Visavergabe an bestimmte Gruppen erleichtern. Zugleich stellt Weil klar, daß Frankreich kein Einwanderungsland für unqualifizierte Arbeitskräfte mehr ist, schlägt eine Verlängerung der Abschiebehaft vor und legt eine härtere Verfolgung von Schleppern und Patrons nahe, die Menschen ohne Papiere beschäftigen.
Im Gegensatz zu zahlreichen Menschenrechtsorganisationen aus der Immigrantenbetreuung und zu den Hunderttausenden von Demonstranten, die am Jahresanfang den „Rückzug der Pasqua- und Debré-Gesetze“ verlangt hatten, will Weil den Gesetzen bloß die Schärfe nehmen. Das erklärte Prinzip der von ihm präsidierten, mit 17 weiteren Experten besetzten Kommission war es, die Immigrationsdebatte zu „dedramatisieren“. Dieser neue Geist spricht auch aus dem Text der beiden Berichte, in denen erstmals seit vielen Jahren auch die positiven Seiten der Immigration für Frankreich erwähnt werden – unter anderem die Bereicherung für die Wissenschaft und die internationale Ausstrahlung Frankreichs.
Grundlegend neu an dem Weil-Bericht sind auch seine Vorschläge zu einer Reform der Asylgesetzgebung. Er will die gegenwärtigen Gesetze um das bislang nicht angewandte, aber in der französischen Verfassung vorgesehene „konstitutionelle Asyl“ erweitern, das sogenannten „passiv Verfolgten“ Aufenthaltsrechte gibt. Außerdem will er ein „territoriales Asyl“ einführen, das der Innenminister für begrenzte Zeit verleihen kann. Letztere Regelung soll Flüchtlinge betreffen, die in ihrem Land von „nichtstaatlichen Kräften“ verfolgt werden. Sie ist vor allem auf die von militanten Islamisten verfolgten Algerier zugeschrieben, die gegenwärtig systematisch abgelehnt werden.
Der 40jährige, den Sozialisten seit seiner Jugend nahestehende Weil hat sich mit zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema Immigration parteiübergreifend einen Namen gemacht. Am 19. Juni hatte Premierminister Lionel Jospin ihn damit beauftragt, die Berichte zu den Themen Staatsangehörigkeit, Einreise und Aufenthaltsrecht in Frankreich zu verfassen, die als Grundlage für zwei neue Gesetze dienen sollen, die im Herbst im Parlament debattiert werden. Zwei Tage später nannte Jospin in einer Regierungserklärung die Ziele seiner Einwanderungspolitik: absolute Klarheit und Würde.
Wenige Tage danach veröffentlichte sein Innenminister ein Dekret, wonach Ausländer ohne gültige Papiere unter bestimmten Umständen eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung bekommen können. 35.000 Anträge gingen zwischenzeitlich bei den Präfekten ein, sie sollen in den nächsten Monaten einzeln geprüft werden. Tausende andere „papierlose“ Immigranten zogen es vor, untergetaucht zu bleiben, weil sie nicht die nötigen Voraussetzungen für eine Regularisierung erfüllen.
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