: Möbel aus dem Kollektiv
Es gibt sie noch, die alternativen Berliner Tischlereikollektive. Sie setzen auf langlebige Holzmöbel und möglichst viel Ökologie ■ Von Peter Sennekamp
Warm ist der erste Eindruck von dem fertigen Möbel aus Holz. Keine stechenden Farben, keine chemische Versiegelung – von den umherstehenden Obstbaumbrettern unterscheiden sich die fertigen Tische, Schränke und Betten weniger in der Farbe, denn in der extravaganten Formgebung. Auch die Produktion ist anders als anderswo: Denn diese Möbel wurden im Kollektiv produziert.
Es gibt sie noch, die Berliner Tischlereikollektive aus den Gründerzeiten der alternativen Produktions- und Lebensgemeinschaften Ende der siebziger Jahre. Lothar, Birgit, Clemens, Anne, Monika und Thomas, allesamt Gesellschafter der „Möbelle“ haben zwar mittlerweile das Kollektiv individualisiert, vor allem durch die Trennung von Privatleben und Beruf und die Aufteilung der Gewinne entsprechend der geleisteten Arbeit. Doch wichtige Entscheidungen, ob sie etwa für eine Ausstellung in der SPD-Zentrale Stühle produzieren oder welche Hölzer sie dafür einkaufen, treffen sie noch immer im Konsens. Und das heißt zum Beispiel: Ökologie ist wichtig.
Tropenhölzer werden nicht verwendet, erklärt Lothar. Zwar sei Mahagoni viel einfacher zu bearbeiten und habe keine Äste im Brett. Aber da sind sie sich mit der „politisch nahestehenden Kundschaft“ einig: Solche Hölzer sollen in den Tropen bleiben. Die meisten Aufträge kommen von Jungakademikern, Ärzten und Architekten oder Rechtsanwälten mit ökologischem Anspruch. Bei der Kundschaft sind vor allem Bäume aus Mitteleuropa gefragt, Kirsche und Apfel zum Beispiel. Und das Holz wird nicht etwa mit einer dicken Lackschicht überzogen, sondern imprägniert. Das Einölen von Holzmöbeln ist ein umweltfreundlicher Ersatz für die giftigen Lacke und sieht schön aus. Wenn das Öl trocken ist, erscheint das Holz in einem warmen Ton und die Maserung bleibt sichtbar. Zwar ist bei stark beanspruchtem Holz zeitweiliges Nachölen erforderlich. Doch dagegen läßt sich bei zerkratzten Lackierungen, unter die Wasser gezogen ist, nichts mehr retten.
„Ökomöbel müssen nicht plump und furchtbar klobig aussehen“, sagt Anne. Tatsächlich bestechen die feinen Formen und dezenten Holztöne, regt sogar Stuhl „Fritz“ (600 Mark) mit seiner bis zum Boden durchgeschwungenen, grazilen Lehne in Holz-Stahl- Kombination zum Nachdenken über die Kultur des Sitzens an.
Völlig mit den konventionellen Kundenwünschen nach Lackierung kann aber Möbelle nicht brechen. Ebenso wenig wie die Kreuzberger Konkurrenz „arbitare“ oder die „Tischlerkooperative“. Seit fünfzehn Jahren sind die arbitare-KollektivistInnen im Holzgeschäft. „Kunden, die Acryllack verlangen, informieren wir über ökologisch bessere Möglichkeiten“, sagt Tischlermeisterin Ausine Miland, „aber letztlich sind wir auf jeden Auftrag angewiesen.“ Lacke auf Wasserbasis gibt es inzwischen, doch schimmern die oft milchig. Ökologisch vertretbare Farbgebung läßt sich indessen mit verschiedenen Beizverfahren erreichen. Das Holz behält dabei seine sichtbare Struktur und bekommt einen farblichen Touch. Es sind gesetzliche Bestimmungen, wie die Urin- und Speichelfestigkeit für Spielecken in Kindergärten oder die antiseptische Arztpraxis, die die Lackversiegelung von Holz verlangen, so Gerhard Thier von der Tischlerkooperative.
Der Markt ist für solche Läden enger geworden. Sie produzieren Langlebiges in einer kurzlebig organisierten Welt. „Ladeneinrichtungen etwa werden im hektisch wechselnden Trend alle fünf Jahre rausgerissen“, so Miland. Neue Optik muß her. Da ist solides Meisterhandwerk nicht angesagt. Ihre vielen Holzideen transformieren die KollektivistInnen heute vermehrt in antroposophisch rundes Kücheninterieur Dahlemer Villen, in Holz-Glas- Stahl-kombinierte Arbeitsräume von Architekten, die für repräsentative Zwecke ein kunstvolles Ambiente abgeben, oder in Empfangsbereiche von Anwaltspraxen. Oft bestellen WGs auch einen großen Tisch oder ein Gemeinschaftsregal. Die gemeinsame Nutzung lohnt sich, denn ein Schöneberger Durchschnittssingle könnte vermutlich 2.000 bis 3.000 Mark für einen Tisch oder ein Regal nicht zahlen. Der Preis besticht erst, wenn der Käufer die Lebenszeit des Möbels, die Betrachtungs- und Haptikgewinne zusammenrechnet. Denn die Haptik, die Gefühlswahrnehmung beim Betasten eines Holztisches etwa, berücksichtigen die KollektivistInnen auch.
Erstaunlich, daß die Kollektive trotz der angespannten Auftragslage sogar Ausbildungsplätze anbieten. Solange sich jedoch nicht mehr Kunden für langlebige Holzwaren entscheiden, haben die Azubis allerdings nur geringe Chancen, ihre Arbeit nach den drei Jahren Ausbildung fortzusetzen.
Möbelle Tischlereikollektiv, Eisenacher Straße 56, 10777 Berlin, Tel. 7823179;
Tischlereikooperative Köster/ Thier, Daumstraße 79, 13599 Berlin, Tel. 6942102;
abitare, Adalbertstraße 7, 10997 Berlin, Tel. 6148722
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen