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Ab in die Kreisklasse, Hertha! Von Ralf Sotscheck

Daß die „Woche der schlechten Laune“ einen Tag nach dem ersten Bundesligaspiel von Hertha BSC eingeläutet wird, ist kein Zufall. Allein die Erwähnung des Fußballklubs verursacht Brechreiz. Kaum ist die Mannschaft in die Bundesliga aufgestiegen, regiert neben der traditionellen Unfähigkeit der Vereinsführung auch gleich wieder der Größenwahn.

Zum Auftakt gegen Borussia Dortmund erhob Hertha einen „Top-Zuschlag“ – als wäre ein ruhmreicher Gegner schon Garant für ein gutes Spiel. Angebrachter wäre es wohl, einen „Kellerduell- Zuschlag“ gegen Mannschaften wie Hansa Rostock und VFL Wolfsburg zu kassieren. Da mein Sohn jedoch Dortmund-Fan ist, führte kein Weg am gestrigen Spiel vorbei – obwohl die Berliner Gurkentruppe alles unternahm, um genau das zu verhindern.

Als ich unsere Freundin Regina – die mit ihrem Sohn ebenfalls zum Spiel wollte – bat, uns zwei Tickets für das Spiel zu besorgen, wußte ich noch nicht, was ich ihr damit antat. Die Abbuchung, gut 70 Mark pro Karte, ging zügig vonstatten. Danach herrschte Funkstille. Immerhin besitzt Hertha ein kleines Faxgerät, das nach sieben Stunden Wahlwiederholung die Anfrage nach den Eintrittskarten annahm. Wieder keine Resonanz. Weitere Briefe, Faxe, Anrufe – Hertha rührte sich nicht. Endlich, vorigen Dienstag, kam ein Einschreiben vom blau-weißen Katastrophenklub – darin zwei Tickets und eine Quittung für vier.

Inzwischen hatte man in der Geschäftsstelle sämtliche Verbindungen zur Außenwelt gekappt. Am Telefon wurde man 20 Minuten lang von einer Computerstimme vertröstet, bis man aus der Leitung flog, und das Faxgerät war ausgestöpselt, weil der zuständige Funktionär einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Regina war nämlich keineswegs die einzige, deren recht übersichtlicher Kartenwunsch das Hertha-Büro restlos überfordert hatte. Also machte sie sich wutentbrannt persönlich auf den Weg. Nach zwei Stunden Wartezeit mit einem genervten Kleinkind, zückte eine andere Angestellte eine Klarsichthülle mit den beiden verschwundenen, aber längst bezahlten Tickets. „Hier steht druff“, verkündete sie, „daß die Billjetts abjeholt wern. Zahln Se bar oda mit Scheck?“

Mit Geld konnte man bei Hertha noch nie umgehen. Schon 1919 wurde der Verein vom Verband ausgeschlossen, weil ein paar Spieler Schwarzgelder kassiert hatten. 1965 wurde Herta aus der Bundesliga entfernt, weil man unerlaubte Handgelder gezahlt und die Sache amateurhaft vertuscht hatte. Noch unerlaubter waren Mitte der Siebziger die Handgelder für fast die gesamte Mannschaft: Die Kohle kam vom Gegner, den man als Gegenleistung gewinnen ließ. Doch sogar bei der passiven Bestechung stellten sich die Herthaner ausgesprochen blöd an. Sie verkauften das Spiel für eine so lächerliche Summe, daß nach Aufteilung nicht mal ein Wochenlohn für jeden Spieler übrigblieb.

Aber vermutlich hat es damals wenigstens mit dem Ticketverkauf geklappt. Heute, so scheint es, ist man ehrlich, aber nicht mal in der Lage, einen Kindergeburtstag zu organisieren. Möge Hertha gestern den zügigen Marsch dorthin angetreten haben, wo zumindest das Management hingehört: in die Kreisklasse. Das würde meine Laune ungemein aufheitern.

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