Anti-AKW-Camp niedergebrannt

■ In Rußland verletzen Atomarbeiter die Demonstranten vor einer Baustelle bei Rostow schwer, die Polizei sieht tatenlos zu

Berlin (taz) – Wie erst gestern bekannt wurde, verprügelten am 29. Juli einige hundert Arbeiter des im Bau befindlichen russischen Atomkraftwerks Rostow eine Gruppe internationaler Umweltaktivisten. Sie hatten seit vergangener Woche die Haupteinfahrt der Atombaustelle blockiert. Mit Gehirnerschütterungen, Nasenbein- und Armbrüchen mußten zehn osteuropäische Aktivisten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Das AKW steht im Ort Wolgodonsk bei Rostow. Zwei Reaktoren des Typs WWER sollen dort einmal jeweils 1.000 Megawatt Strom erzeugen.

Nachdem drei anwesende Polizisten bei der Prügelaktion nicht eingriffen, brannten die Arbeiter unbehelligt sieben der zehn aufgeschlagenen Zelte des Blockadecamps nieder, zerschlugen Kameras der Campteilnehmer und rissen die Filme heraus. Die Stadtverwaltung und der Polizeichef des nahe gelegenen Wolgadonsk hatten bereits tags zuvor erklärt, daß sie über die Pläne der AKW-Arbeiter – die mehrheitlich in Wolgadonsk leben – informiert seien, ein Eingreifen aber nicht möglich sei.

Die Organisatoren des Camps mit dem Namen „Wächter des Regenbogens“, englisch „Rainbow Keepers“, äußerten sich wütend über das „brutale und blutige Niederschlagen passiven Widerstandes“. Sie unterstellten der Stadtverwaltung, die Gewaltaktion initiiert zu haben. Ähnlich wie bei der kürzlich beendeten AKW-Blockade im tschechischen Temelin hatten die Atomgegner versucht, eine „lebende Kette“ aus Menschen und betongefüllten Fässern zu bilden. Unter den rund siebzig Campteilnehmern befanden sich auch zehn deutsche Aktivisten.

Hintergrund für den jetzigen Weiterbau des im Jahr 1990 gestoppten AKW-Projekts ist ein Abkommen zwischen dem US- Energieministerium (DOE) und dem russischen Atomministerium Minatom vom September vergangenen Jahres. Danach soll Rußland Waffenplutonium und Uran zu Mischoxidbrennelementen (Mox) verarbeiten und die Brennstäbe im AKW Rostow einsetzen.

Wladimir Sliwiak, Sprecher der Umweltorganisation SEU (Sozial- Ökologische Union) in Moskau, erklärte gegenüber der taz, daß die Umbaupläne für das AKW unzulässig seien und der Rostow-Reaktor keinesfalls im Jahr 1998 fertiggestellt sei, wie das Atomministerium behaupte: „Das Atomkraftwerk Rostow ist für den Einsatz von Mox-Brennelementen nicht konzipiert. Der gesamte Reaktorkern muß dafür ausgewechselt werden.“ Die Pläne zur Verwendung von Mox bergen zudem nicht nur technische Probleme. Immer mehr Plutonium zirkuliert an verschiedenen AKW- Standorten, und ein Abzweigen des Spaltmaterials für den illegalen Handel wird einfacher.

Den Grund für die Gewaltanwendung der AKW-Arbeiter gegen die Blockierer sieht Sliwiak in der „einzigen Perspektive, in der Gegend von Wolgadonsk einen Job zu behalten“, wenn das AKW betrieben wird. Doch sei das brutale Verhalten damit keineswegs zu entschuldigen. Die Umweltaktivisten haben unterdessen angekündigt, ein Referendum über die Zukunft des Atomkraftwerks zu organisieren. Peter Sennekamp