: Wen fressen sie jetzt?
Diesmal ist Schluß mit lustig: Steven Spielbergs Fortsetzung der Sauriersaga „Vergessene Welt – Jurassic Park“ präsentiert statt lerngerechtem Spielzeug eine melancholisch gestimmte Horrorshow Marke Mesozoikum ■ Von Harald Fricke
Das Kinopublikum eines Megasellers ist meistens zahlreich und nur selten dumm. Schon Minuten vor dem Abspann von „Jurassic Park“ war wohl sämtlichen Zuschauern klar, daß es einen zweiten Teil geben würde. Der benommene Blick von Jeff Goldblum, Richard Attenboroughs schwerer Atem, der rettende Helikopter über dem rötlich glühenden Meer – in diesen von Erschöpfung leeren Bildern, dem Vakuum vor den Augen der Überlebenden, war anzusehen, daß Steven Spielberg seine Sauriersaga fortsetzen mußte. Dann hat es fast ein wenig zu lange gedauert: Als Universal Pictures Ende Mai „Lost World“ in den USA anlaufen ließen, traute sich nur ein gewisser Griffin Dunnes mit „Addicted to Love“ zum gleichen Wochenende an den Kinostart. Aber was ist schon eine eifersüchtige Meg Ryan gegen 24 Meter lange, 20 Tonnen schwere Apatosaurier? Binnen vier Tagen lagen die Einspielergebnisse von „Lost World“ bei 100 Millionen Dollar.
Natürlich bringen Fortsetzungen eine ganze Reihe Probleme mit sich: Man kennt das Ensemble und hat sich an die Computereffekte von Industrial Light & Magic schnell gewöhnt. Was 1993 für das Publikum noch eine echte sehphilosophische Sensation war und von diversen Kritikern als schnödes Technikgeklapper scharf gegeißelt wurde, ist für den gewöhnlichen Kinogänger von 1997 bereits Selbstverständlichkeit geworden, zu der die entsprechende Software bald im Medienmarkt nachgereicht wird. Selbst in der Wunderwelt der Saurier geht es nicht mehr um die Frage, wieso sich die Urtiere überaus possierlich animiert bewegen, sondern nur um das eine: Wen fressen sie jetzt? Das wußten auch Spielberg und seine Trick- Crew, als sie im Frühjahr 1994 mit den Vorbereitungen zu „Lost World“ begannen. So berichtete etwa der Produktionsdesigner Rick Carter während der Dreharbeiten, daß zwar nahezu die gleichen Schauplätze aus dem ersten Teil vorkommen sollen, „doch diesmal ist alles viel härter“.
Weniger Schock, mehr Thrill
Also Schluß mit lustig, statt lerngerechtem Kinderspielzeug gibt es Horrorshow Marke Mesozoikum. Nachdem im ersten Teil der Dino- Themenpark von einem Unwetter vernichtet wurde, startet nun eine neue Expedition zur benachbarten Insel, auf der ursprünglich die Saurier im Labor geklont wurden. Nach der Katastrophe hat man die Anlage einfach vergessen, folglich laufen hier die Tiere jetzt wie in einem Urzeitparadies ohne Kontrolle und Sicherheitszäune herum. Stegosaurier treffen auf Triceratopse, entenähnliche Großreptilien werden von Velociraptoren verspeist – es ist eben eine vergessene Welt vor der Küste von Costa Rica. Idealer Stoff für eine lukrative TV-Dokumentation, so sieht es der geschaßte „Jurassic Park“- Besitzer John Hammond.
Obwohl es Jeff Goldblum als Professor Ian Malcolm eigentlich noch vom ersten Teil besser wissen sollte – immerhin hatte ihm ein T-Rex das Bein zerschmettert –, führt er das Kamerateam an. Vielleicht ist es seine Liebe zum Chaos, vielleicht auch nur die Liaison mit der forschen Biologin Sarah Harding (Julianne Moore). Jedenfalls hat man schon bald eine Menge fleischfressender Saurier am Hals, und außerdem ist auch noch ein Großwildjäger namens Roland Tembo (Pete Postlethwaite) mit seinem deutschen Boyfriend Dieter Stark (Peter Stormare, der blondgefärbte Killer aus „Fargo“) auf der Pirsch, um einen Tyrannosaurus zu erlegen. Nebenbei soll der Safari-Rambo Tembo ein zweites Exemplar lebend nach San Diego schaffen, um es im Zirkus auftreten zu lassen wie einst King Kong. Doch die Saurier sind sehr viel gewitzter als die jagende Bagage: Schnell haben sie sämtliche Trupps dezimiert, und selbst der erbeutete T-Rex frißt sich schließlich als Godzilla durch die Straßen von San Diego – Kettenhunde inklusive.
Das klingt alles extrem blutrünstig, und man wundert sich, warum ein solch archaisches Gemetzel auf Kellog's-Packungen beworben wird, wo doch die Altersfreigabe weit jenseits der dort avisierten Zielgruppe liegt. Andererseits greift Spielberg ohnehin nie allzu tief in die Schockkiste. Eher setzt sich seine Art Thrill wie bei Hitchcock aus Andeutungen oder unscheinbaren Details zusammen: Mal zersplittern Knochen in einem dunklen Sauriermaul, mal rinnt auch etwas Blut den stillen Dschungelfluß hinunter. Nie tritt der Schrecken unmittelbar in Erscheinung, stets wird er in der Panik der Akteure gespiegelt oder im giftigen Blinzeln der Riesenechsen und Killerraptoren.
Gleich zum Einstieg schaut man einer trägen Jet-set-Familie mit Kind zu, die Ferien auf der costaricanischen Insel Sorna macht. Scampi und Champagner werden am weißen Strand gereicht, es sieht nach Raffaello-Reklame aus. Zufällig hopst das kleine Mädchen in den Büschen herum und stößt auf eine Kolonie grünlicher Miniechsen, die zunächst nur an seinem Lachsbrötchen knabbern wollen. Daß der Appetit beim Fressen kommt, zeigt Spielberg nicht mehr – die letzten Schreie der Mutter müssen reichen. Einmal allerdings wird ein Menschlein von zwei enormen T-Rexen in der Mitte durchtrennt, doch da ist man noch mit einem Lacher beschäftigt, weil die Biester kurz zuvor einen Airbag aus dem Mercedes-Jeep zerbissen hatten.
Die Natur driftet auseinander
Ansonsten bleibt „Lost World“ trotz Großwildjagd und Biogewehren ungeheuer ruhig, kühl, ja diszipliniert. Spielbergs Story von frei wildernden Monstern erinnert an jene Chaostheorie, von der Jeff Goldblum im ersten Teil so oft gesprochen hatte – je mehr sich einzelne Teile auch nur ein bißchen außerhalb der Ordnung bewegen, um so zielstrebiger fällt das ganze System in sich zusammen.
In „Lost World“ driftet die Natur als ein solches System allmählich auseinander, und schon in winzigen Rissen blickt man auf die nahe Katastrophe. Insofern ist selbst die radikalste Szene faszinierend logisch: Nachdem die beiden Tyrannosaurier einen Caravan über eine Klippe geschoben haben, rutschen Malcolm und zwei Kollegen langsam in ihrem Metallsarg dem Abgrund entgegen. Ausgerechnet seine Geliebte Sarah Harding ist besonders unglücklich auf die rückwärtige Windschutzscheibe gestürzt – vor Malcolms Augen droht ihr eigenes Gewicht das Glas zu zerdrücken. Langsam bildet sich ein Spinnennetz aus Fenstersplittern unter der verzweifelten Frau. Die Panik hält über Minuten an, dann erst kommt es zum endgültigen Desaster.
Immer wieder sind es diese minutiösen Einstellungen, aus denen sich „Lost World“ zur Gentech- Apokalypse fügt, die Michael Crichton in seinem Roman vorgezeichnet hat. Anders als in „Jurassic Park“ weicht Spielbergs Fassung diesmal allerdings weit vom Original ab. Wo Crichton sehr komplexe Wissenschaftsfiktion über Evolution und Verhaltensforschung baut, schaut der Film vor allem auf den blinden Terror der entfesselten Natur – selbst Jeff Goldblum als dandyhafter Relativitätstheoretiker stützt sich in „Lost World“ nicht mehr auf seinen Verstand, sondern greift beherzt zur Waffe, wenn die Saurier kommen. Und auch die Fronten verlaufen anders als im Buch: Crichton spitzt den Konflikt zwischen einem korrupten Biokonzern und engagierten Feldforschern zu, bis sich am Ende beide Gruppen in der Wildnis wie rivalisierende Urtiere bekämpfen; Spielberg hingegen vertraut weiter auf Common sense und Zivilgesellschaft.
Im Ernstfall werden bei ihm sogar Stanford-Professoren und geldgierige Kapitalisten zu Verbündeten, wenn es gegen den aus der Ursuppe mutierten Feind geht. Vermutlich liegt der Erfolg von Spielberg in genau dieser pragmatischen Haltung: Weil sich der Regisseur ganz auf die Animationstalente der Industrial Light & Magic- Company von Georg Lucas verlassen kann, wurden fertiggedrehte Szenen gleich nach Durchsicht zur digitalen Bearbeitung an das Computerstudio geschickt. So hängt in Zukunft bei Dream Works wohl auch alles am Teamwork. Allerdings hat die Sache im Film einen Haken: Am Ende wird der Unternehmenschef doch noch verfüttert – an ein Saurierbaby. Spielberg mag nämlich Kinder.
„Jurassic Park“. Regie: Steven Spielberg. Mit Julianne Moore, Jeff Goldblum u.a. USA, 1997
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