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Als Salifus Mutter im Feuer starb

Der Hexenglaube dient in Afrika zur Erklärung sozialer Konflikte. Im Norden Ghanas finden der Hexerei beschuldigte Frauen Zuflucht  ■ Aus Tamale Bernice Agyekwena

Der glühende Feuerball zischte vom Himmel herunter und bewegte sich auf Salifu Imoro zu. Der 32jährige Bauer griff voller Angst zu seinem Gewehr und eröffnete das Feuer. Da verwandelte sich der Feuerball in einen Menschen, der tödlich getroffen zu Boden sank – es war Salifus eigene Mutter, die 60jährige Jinche. Zusammen mit seinen Verwandten begrub er sie heimlich, noch in der Nacht.

Salifu Imoro kam in der nordghanaischen Stadt Tamale vor Gericht – angeklagt, seine Mutter ermordet zu haben, während sie schlief. Zu seiner Verteidigung erzählte er die Geschichte von dem Feuerball. Seine Mutter habe sich wohl in ihrer „geistigen Form“ in diesen Feuerball verwandelt, wie es Hexen eben tun. Aber ihm sei nie in den Sinn gekommen, daß seine eigene Mutter eine Hexe sein könnte. Doch Staatsanwalt Alhassan erklärte dem Gericht, Salifu habe seine Mutter schon einmal beschuldigt, eine Hexe zu sein, und behauptet, sie habe seine beiden Kinder gegessen, die im Vorjahr gestorben waren.

Dieses Gerichtsverfahren war für Ghana nicht ungewöhnlich. Daß sich Hexen in Feuerbälle verwandeln und nachts auf Menschenjagd gehen, ist eine weit verbreitete Überzeugung. Und daß Frauen, die man der Hexerei verdächtigte, gelyncht werden, störte bis vor kurzem niemanden.

Nach Salifu erschien vor dem Gericht in Tamale die Angeklagte Salamatu Dawuni. Vier Männer hatten die 65jährige Kräuterfrau verprügelt, ihr mit Macheten Kopfwunden zugefügt, sie dann für tot gehalten und liegengelassen. Sie ist jetzt angeklagt, einen Mann getötet zu haben. Die 66jährige Händlerin Panaa Karim steht ebenfalls vor dem Gericht unter der Anklage, eine junge Frau verhext und getötet zu haben. Auch sie war von vier Männern angegriffen und einem entwürdigenden Schauprozeß unterworfen worden: Sie mußte sich nackt ausziehen, ihre Geschlechtsteile wurden kahlrasiert und ihre Fingernägel abgeschnitten. Die Nägel wurden für Riten verwandt, und sie wurde sieben Tage lang zwecks „Reinigung“ gefangengehalten.

Doch es gibt auch Schutz für diese Frauen. Im Norden Ghanas existieren drei sogenannte Hexendörfer, wo der Hexerei beschuldigte Frauen sich „enthexen“ können. Im Hexendorf Tindam, 120 Kilometer südwestlich von Tamale, leben über 140 weibliche und 39 männliche Hexen. Die knapp 500 Einwohner sind fast ausschließlich Abkömmlinge ehemaliger Hexen. Auch Fetischpriester Da Naa Makum stammt von Hexen ab, die vor vielen Jahren in dieses Dorf verbannt wurden.

Mit einem einfachen Test an einem weißen Huhn will Da Naa feststellen können, ob jemand tatsächlich eine Hexe ist. Wenn nach den entsprechenden Riten und der Anrufung der Orakel das geschlachtete Huhn in einer unnatürlichen Position mit den Beinen in der Luft liegenbleibt, ist die Frau ein Hexe. Wenn das Huhn in der normalen Position daliegt, ist die Frau unschuldig. Frauen, die auf diese Weise überführt werden, müssen einen Trank einnehmen, der sie enthext. Ihrer übernatürlichen Kräfte entledigt, können sie dann in ihre Heimatdörfer zurück, wenn sie wollen. „Aber die meisten gehen nie zurück“, sagt Da Naa. „Sie haben Angst, daß ihre Familien sie verstoßen, und daß Kinder und Erwachsene sie auslachen, belästigen oder für ihre vergangenen Untaten belangen. Schlimmer noch, man wird sie auch in Zukunft für alles Unglück verantwortlich machen, das ihre Familien befällt. Das ist zwar völlig überflüssig, denn eine enthexte Hexe ist endgültig enthext. Aber die Leute haben trotzdem vor ihnen Angst.“

Hexendörfer wie Tindam sind somit eine Zuflucht für ehemalige Hexen. Sie leben dort in Freiheit und Sicherheit, und zugleich fühlen sich die Angehörigen in ihren Heimatdörfern ebenfalls sicherer. Es herrscht allgemein der Glaube, daß eine Hexe, die versucht, Leute aus Tindam zu verhexen, sterben wird. Als 1994 ethnische Konflikte weite Teile Nordghanas ergriffen, wurden ganze Dörfer zerstört und mehrere tausend Menschen starben – aber Tindam blieb unbehelligt.

Durchschnittlich kommt einmal in der Woche eine neue Hexe nach Tindam. Die Frauen betreiben Ackerbau und Handel, um sich zu ernähren. Aber sie sind sehr arm und schlecht versorgt. „Die meisten Frauen, die hierherkommen, sind alt“, sagt Da Naa. „Die wenigen jungen Frauen, die hierher gebracht werden, werden meistens von ihren Ehemännern wieder zurückgenommen, aber die alten Frauen nicht. Seit dem letzten Jahr sind wohl 40 von ihnen gestorben.“

Das Hexendorf Gambaga 150 Kilometer nordöstlich von Tamale hat internationale Bedeutung erlangt. Hierher kommen sogar Hexen aus dem nahen Burkina Faso, um sich enthexen zu lassen. Für über 200 Hexen ist Gambaga zur neuen Heimat geworden. Gerade heißt Dorfhäuptling Gambarana Yahaya Wuni drei neue Hexen in seinem Dorf willkommen.

Früher habe man Hexen qualvoll zu Tode gefoltert, sagt der Häuptling, die Hexendörfer seien da ein eindeutiger Fortschritt. Das nordghanaische Mamprusi-Volk, zu dem Gambarana gehört, kennt 333 Gottheiten. Zwei davon haben mit der Identifizierung und Enthexung von Hexen zu tun. „Ich kann eine Hexe erkennen, indem ich sie anschaue“, brüstet sich der Häuptling. „Aber ich führe immer die verlangten Riten durch, damit die Götter ihr Urteil abgeben können. Ich erkläre nie eine Frau für schuldig, bevor alle Riten vor dem kompletten Dorf durchgeführt worden sind.“

Er wehrt sich gegen die Kritik, die Beschuldigungen der Hexerei und die anschließende Enthexung seien nur ein männlicher Trick zur Unterdrückung der Frauen. „Niemand kann mir weismachen, daß es keine Hexerei gibt“, sagt er. „Daß Frauen, denen man Hexerei vorwirft, sich nun vor Gericht verteidigen, heißt doch nicht, daß sie unschuldig sind.“ Hexerei übersteige nämlich die Möglichkeiten der Justiz. „Hexerei ist ein geistiges Problem, und man muß darauf geistige Antworten finden. Man muß nur zuhören, wie solche Frauen ihre Verbrechen gestehen, um zu merken, wie ernst die Sache ist.“

Eine Frau im Dorf gestand nach ihrer rituellen Überführung, daß sie die Seelen ihres kranken Ehemannes und ihres Sohnes in Kakerlaken verwandelt und diese in einem Topf Wasser aufbewahrt habe. Als die Dorfältesten von Gambaga in die Hütte dieser Frau gingen, fanden sie tatsächlich einen mit Wasser gefüllten Topf mit zwei Kakerlaken drin. Die Kakerlaken waren auf den Grund des Topfes gesunken – und lebten trotzdem. Man ließ sie frei – der kranke Ehemann wurde schlagartig gesund und lebt heute noch.

Eine andere Frau sagte, sie habe die Seele ihres Opfers in eine Eidechse verwandelt und sie unter einer Baumwollpflanze aufgehoben. Die Pflanze wurde ausgerissen, die Eidechse wurde darunter gefunden, und als man sie freiließ, genas auch dieses Opfer von seiner Krankheit. „Wenn man solche Rituale durchführt und miterlebt, wie Leute gesund werden, muß man sich über Hexerei Gedanken machen“, meint Gambarana.

Eine junge Frau, die in Gambaga enthext wurde, ging mit ihrem Ehemann wieder nach Hause. Dann hatte sie Angst, von den Göttern getötet zu werden, und entschloß sich, alle ihre ehemaligen Opfer zu „befreien“. Eines Tages weckte sie bei Sonnenaufgang ihren Mann und ging mit ihm zu einem großen Baum. Sie rieb die Baumrinde mit einem Brei ein, schlug ihn mit einem Besenstiel – und der Baumstamm öffnete sich. Die Frau steckte ihre Hand in die Öffnung und zog einige Insekten heraus – die Seelen ihrer Opfer.

Laut Gambarana spielt sich Hexerei zumeist innerhalb der Ehe ab: Die Frau verhext den Mann, weil er sie mißhandelt hat. Hexerei ist aus dieser Sicht eine Gegenwehr der Frau gegen männliche Gewalt, und Hexendörfer sind Frauendörfer, wo sie vor rachsüchtigen Männern sicher sind.

Manche Hexen in Gambaga stimmen dem zu. Die 75jährige Sanatu Sulemana floh bereits vor 30 Jahren in das Dorf. Sie hatte Angst, von den Leuten in ihrem Dorf umgebracht zu werden, die sie für die Erkrankung eines Jungen verantwortlich machten. Für die 100jährige Dinwack Lambon ist Gambaga das einzige Zuhause. Seit 20 Jahren lebt sie hier, und sie will nicht zu ihrer Familie zurück. Die 70jährige Kagossiba Gashiri macht aus ihrer Geschichte keinen Hehl: „Wenn ich keine Menschen gegessen hätte, wäre ich nicht hergekommen.“ Nun aber will sie dableiben. Und natürlich ist denkbar, sagt sie, daß sich Hexen nachts in der Form von Feuerbällen bewegen. „Das ist eine Möglichkeit.“

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