Weise Hosen aus Athen (5): Unter Einfluß von Pech
■ Alte Fragen, schöne Überraschungen und alte Kugelstoß-Traditionen
Eine schöne Tradition pflegen seit Jahren die Kugelstoßer. Sie überraschen immer wieder einen mit einer Medaille, der nicht damit rechnet. Gestern war der US-Junge C.J. Hunter dran. Der Vierte des sonntäglichen WM-Wettbewerbs wurde mit einer Bronzemedaille bedacht, nachdem dem als Sieger gefeierten Ukrainer Aleksander Bagatsch (sowie einer kasachischen Dreispringerin und einem französischen Hürdenläufer) vom Athener Kontroll-Labor Ephedrin nachgewiesen wurde. Der Deutsche Sven-Oliver Buder hat jetzt Silber. Manche halten Bagatsch (30) jetzt für eine „Dopingsau“, aber vielleicht ist er auch bloß diesmal der Pechvogel. In Stuttgart 1993 hatte er Glück gehabt und Bronze gekriegt. Damals hatte es John Stulce erwischt. Zum zweiten Mal. Stulce ist vielleicht andererseits auch ein ausgesprochener Glückspilz: 1992 wurde er nicht erwischt, sondern Olympiasieger. Es folgten die ebenfalls vorbestraften Doehring und Lykho. Da stellen sich Fragen: Daß Randy Barnes, der Olympiasieger, in der Quali rausflog, nachdem er bei den Trials sehr bemerkenswerte 22,03 m gestoßen hatte? „Er war unter Einfluß von Pech“, hat Bagatsch gesagt. Barnes hat übrigens seine zwei Jahre Sperre wegen Anabolika- Genusses genauso hinter sich wie der Olympia-Dritte Bagatsch. Was er nun probiert hat, gilt als leichteres Delikt, sozusagen Vergehenskategorie 2. Die IAAF hat eben erst die Dreimonatssperre für erstmaligen Nachweis von Stimulantia abgeschafft. Beim zweitenmal gibt es zwei weitere Jahre, für diesmal muß Bagatsch bloß sein Gold abgeben. Er bekommt dafür eine „Verwarnung“. Unter gewissen Betrachtungsweisen hat auch er Glück gehabt. „Dopingkontrollen sind gut“, sagte er am Sonntag lächelnd, nachdem er das Jahr über mitgezählt hatte und bei sechs angelangt war: „Das Bier kostet nichts.“ Das aber ist längst ausgeschieden und kann weder nachgewiesen noch zurückgefordert werden.
Es stellen sich Fragen. „Wir hätten gerne eines“, ein Institut für Dopingkontrollen nämlich, „wenn wir es bezahlen könnten“, antwortete zumindest dramaturgisch geschickt Valerie Borsow (49) gestern in der FAZ. Der sowjetrussische Sprint- Olympiasieger ist Sportminister, IOC-Mitglied und Chef des aufstrebenden Leichtathletik- Verbandes der Ukraine.
Es stellen sich Fragen. Etwa die, ob das, was die Olympiasiegerin Astrid Kumbernuss und die Ukrainerin Viktoria Pawlysch gestern miteinander auszumachen hatten, schon alles gewesen sein soll. Kumbernuss hat das Jahr abwechselnd damit verbracht, Weltjahresbestleistungen zu stoßen, sich testen zu lassen und ihre einzige, allerdings selten präsente Konkurrentin zu verdächtigen. „Ich könnte auch zu Kumbernuss sagen, daß sie nur gut ist, weil sie dopt“, wird dazu Borsow zitiert.
Spiridon Louis, dieser hagere Bauernbursche, dieser working class hero, lief also ein ins Stadion von Athen, um den Marathon zu gewinnen. 1896 war das bekanntlich. Da entstand beim Betrachter ein Gefühl, als seien alle im Stadion hochpromillig, aber angenehm betrunken. So beschrieb das jedenfalls ein zeitgenössischer Kollege.
Heute sitzt man da und denkt: Mal eben zur Dopingkontrolle gehen und sehen, ob da was los ist. Außerdem: Ein Bier wär' jetzt nicht schlecht. pu
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