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Anschlag beim Abendgebet im Punjab

In der pakistanischen Provinz Punjab kommt es zwischen Schiiten und Sunniten immer wieder zur Gewalt. Seit Anfang des Jahres starben fast 200 Menschen durch Anschläge radikaler Gruppen  ■ Von Jorge Scholz

Berlin (taz) – Die seit Jahresbeginn eskalierende Attentatserie verfeindeter schiitischer und sunnitischer Terrorgruppen in Pakistan hat am Mittwoch abend einen neuen blutigen Höhepunkt erreicht: Drei Mordanschläge innerhalb weniger Stunden forderten nach Polizeiangaben 12 Tote und 40 Verletzte. In der punjabischen Provinzhauptstadt Lahore starben während des Abendgebets in einer sunnitischen Moschee neun Menschen. Vier mit Kalaschnikows bewaffnete Männer hatten unter den Betenden ein Massaker angerichtet. Acht Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Die Täter konnten unerkannt fliehen.

Kurz zuvor hatten zwei Unbekannte in der Altstadt der Sechs- Millionen-Metropole den Bruder eines hochrangigen schiitischen Islamistenführers erschossen. Deshalb ging die Polizei beim Moscheeattentat zunächst von einem Racheakt militanter Schiiten aus.

Bei einem dritten Anschlag im südpunjabischen Multan warfen Unbekannte während der Gebetszeit eine Handgranate in den Innenhof einer sunnitischen Moschee. Zwei Gläubige wurden getötet, 20 verletzt.

Die Anschläge stehen offenbar im Zusammenhang mit dem Untergrundkrieg schiitischer und sunnitischer Banden. Beobachter machen hierfür vor allem zwei kleine radikale Splitterparteien verantwortlich, die bei Wahlen aus eigener Kraft noch nie einen Parlamentssitz erobern konnten. Aus dem radikal-sunnitischen Spektrum ragt die „Sipah-e-Sahaba Pakistan“ (SSP) hervor, die mit militanten Mitteln islamisches Recht in der Variante der sunnitischen Rechtsschule durchsetzen will, das auch für Schiiten gelten soll. Danach müßten sie zum Beispiel eine Armensteuer zahlen, von der sie bisher ausgenommen sind. In der jüngsten Vergangenheit machte die SSP vor allem mit der gezielten Erschießung führender schiitischer Geistlicher von sich reden. Auch die spektakulären Erstürmungen des iranischen Konsulats in Lahore und des iranischen Kulturzentrums in Multan im Februar gehen nach Erkenntnis der Behörden auf das Konto dieser Gruppe.

Als Hauptgegenspieler der SSP gilt die schiitische Organisation „Tehrik-i-Jafria“ Pakistan (TJP), die die Einführung der „Jafria“ genannten schiitischen Variante des islamischen Rechts in Pakistan anstrebt. Auf die Ermordung schiitischer Gelehrter reagierte die TJP mit Anschlägen auf sunnitische Moscheen. Allein in diesem Jahr fielen dieser Fehde fast 200 Menschen zum Opfer.

Staat und Regierung sahen dem Treiben der militanten Sekten bislang fast tatenlos zu. Zwar folgen spektakulären Attentaten regelmäßig medienwirksame Verhaftungswellen unter Anhängern und Mitgliedern islamistischer Parteien, doch die wirklichen Täter werden selten gefaßt. Im Gegenteil: SSP-Chef Azam Tariq beispielsweise, der für zahlreiche Morde verantwortlich sein soll, bekleidete noch vor einem halben Jahr einen Posten in der punjabischen Provinzregierung.

Der neugewählte Premierminister Nawaz Sharif hatte zum Amtsantritt versprochen, im 50. Jahr der Unabhängigkeit und Gründung Pakistans den Terror der Islamisten zu beenden. Er ist bisher genauso gescheitert wie das Projekt Pakistan. Das mit heute mehr als 130 Millionen Muslimen (davon rund ein Viertel Schiiten) zweitgrößte islamische Land der Erde wurde vor einem halben Jahrhundert als Islamische Republik und als Heimstätte der Muslime des Subkontinents aus der Taufe gehoben.

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