: Schöner Wohnen ohne Blech und Asphalt
■ In Hamburg-Barmbek entsteht die erste autofreie Siedlung Deutschlands, die zweite wird bereits geplant. Die Baukosten liegen 20 Prozent unter den marktüblichen Preisen
Der erste Bagger ist schon da, auf dem 30.000 Quadratmeter großen Areal zwischen Saarlandstraße und Barmbeker Stichkanal. Ein Ingenieurbüro nimmt Bodenproben, um die Festigkeit des Untergrundes zu bestimmen. Für das kommende Frühjahr ist die Grundsteinlegung geplant, noch im Sommer 1998 sollen die BewohnerInnen einziehen. In die erste autofreie Siedlung Deutschlands.
Knapp vierzig Prozent der Hamburger Haushalte haben kein Auto. Die Vorteile der automobilen Gesellschaft können sie nicht nutzen, die Nachteile aber dürfen sie ungemindert ertragen – den Lärm, die Abgase, die zugeparkten Straßen. Die Idee der autofreien Siedlung: Die Vorteile, die aus dem Autoverzicht entstehen, sollen den blechfreien Haushalten unmittelbar zugute kommen. Dazu brauchen sie ihr eigenes Quartier. Zum Beispiel am Barmbeker Stichkanal.
220 Wohnungen sollen auf dem Gelände entstehen. In der Siedlung gibt es keine Straßen. Die Wege und Plätze gehören Kindern, Fußgängern und Radfahrern. Nur Rettungsfahrzeuge und Möbelwagen dürfen die Poller am Rande der Siedlung umlegen. Nach dem normalen Baurecht wären 200 Parkplätze nötig. Statt einer teuren Tiefgarage gibt es Platz und Geld für Wiesen, eine Fahrradwerkstatt, ein Bootshaus, ein Café. „Etwa zwanzig Prozent unter dem marktüblichen Preis“liegen die Baukosten am Barmbeker Stichkanal, schätzt Karsten Wagner vom Verein „Autofreies Wohnen“. Größter Kostenvorteil: Die BewohnerInnen organisieren das gesamte Vorhaben selbst. Ausgaben für Projektentwickler oder Makler entfallen. „Vor fünf Jahren hat kaum jemand die Idee vom autofreien Wohnen gekannt“, erinnert sich Wagner. Innerhalb von zwei, drei Jahren entstanden bundesweit zwei Dutzend Initiativen. Doch so weit wie in Hamburg ist keine andere Gruppe. Die einen hatten Schwierigkeiten mit der Finanzierung, die anderen fanden kein geeignetes Grundstück – citynah und gut an öffentliche Verkehrsmittel angebunden.
Selbst die Initiative in Bremen scheiterte, die bis zum vergangenen Jahr als aussichtsreichstes Vorhaben gegolten hatte. „Das Grundstück war zu teuer“, nennt Wagner einen der Gründe. „Die Wohnungen hätten den marktüblichen Preis gekostet. Da hätte ich auch keine Eigentumswohnung gekauft, wenn ich mich gleichzeitig zum Verzicht auf ein Auto verpflichten muß.“Und, weiterer wesentlicher Unterschied: „Die Bewohner müssen das Projekt selbst organisieren.“Und nicht einem Bauträger überlassen.
In Hamburg planen die BewohnerInnen das Projekt über den Verein Autofreies Wohnen. Er suchte zusammen mit der Stadtentwicklungsbehörde ein geeignetes Grundstück, handelte den Preis aus und begleitete einen Architektenwettbewerb. In zwei Abschnitten soll das Gelände bebaut werden. Für den ersten Abschnitt kalkuliert der Verein mit einer Investitionssumme von 55 Millionen Mark, für 120 Wohnungen sowie Läden, Werkstätten und Geschäfte, die als Lärmschutzwall zur vierspurigen Saarlandstraße dienen. Der Verein zog drei Investoren an Land – die städtische „Gesellschaft für Wohnen und Bauen“, die Sozialeinrichtung „Leben mit Behinderung“sowie – für die Gewerbebebauung – die Dr. Greve AG. Über zwei eigene Unternehmen – eine Genossenschaft und eine Eigentümergemeinschaft – finanzieren die Mitglieder weitere Miet- und Eigentumswohnungen.
Mittlerweile plant der Verein sein nächstes Projekt, auf dem Gelände des heutigen Hochbahndepots in Winterhude. 500 Wohnungen sollen dort entstehen, davon 100 für autofreie Haushalte. Berührungsängste mit Baukonzernen haben die alternativen Planer nicht. Sie haben das Siedlungskonzept zusammen mit dem Bauriesen Hoch-Tief und zwei weiteren Investoren entwickelt. Derzeit läuft das Bieterverfahren für das Grundstück. „Immobilienfonds aus ganz Deutschland interessieren sich für diese Fläche. Da können wir natürlich nicht mithalten“, sagt Wagner. „Aber wir hoffen, daß wir den Zuschlag trotzdem kriegen, aufgrund des besseren Konzeptes.“
Achim Fischer
Einige Wohnungen innerhalb der Siedlung sind noch frei. Informationen unter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen