: Die Tröstlichkeit des Gnadenlosen
■ Duttenhoefers zerborstene Leiber zwischen Marcks stillen Menschen im Gerhard-Marcks-Haus
Der Bronzebildhauer und Zeichner Thomas Duttenhoefer liebt die Welt, sogar die Menschen. Vor allem liebt er sie in ihrer Hinfälligkeit, da, wo es keine Mode, kein Gebaren, kein Getue mehr zuwege bringt, die Gesetze des Fleisches zu verhängen, da, wo selbst die eisernen Regeln der Fun-Gesellschaft die Segel streichen. Die Versehrtheit des Lebens stöbert er an verschiedensten Orten auf, im Krankenhaus, bei kirchlichen Würdenträgern, im Schlachthof, beim Stierkampf, – in jedem Gesicht. „Spannend sind die herrlichen Asymmetrien in jedem Gesicht. Aber nicht alle Porträtierten sind über meine Arbeiten glücklich. Oft sind die Leute enttäuscht, daß sie so aussehen, wie sie aussehen. Die wissen das manchmal gar nicht. Da dachte einer, er wirkt so interessant wie meine Karl Krolow-Büste. Er sah aber nicht so aus, auch meine Büste sah dann nicht so aus – und war verwundert. Da muß man einfach ein bißchen gnadenlos sein.“
Besonders an einem heißen Sommertag, der vollgepfercht ist mit lauter rosigen Eisdielengesichtern, nimmt der Verwesungsgeruch von Duttenhoefers Plastiken klare Züge an. Stechend wird er nicht. Dazu sind die Zeichnungen und Plastiken zu schön, formal zu ausgefeilt. Der 47jährige Darmstädter verschreibt sich allem Verletztem nicht aus Pessimismus, sondern aus Menschenliebe. „Zum Beispiel in den großen Pestzeiten. Da flüchteten sich die Menschen ja keineswegs in unverbindliche Spaßigkeiten. In dieser Zeit entstanden – das ist hochinteressant – die ergreifendsten Kreuzesdarstellungen. Die Darstellung von Leid scheint etwas Tröstliches zu haben.“
Im Gerhard-Marcks-Haus zeigt er unter dem Titel „Bischof und Stier“Arbeiten über die Würde, aber auch die Erstarrtheit kirchlicher Amtsträger, Arbeiten über den Stierkampf, vor allem aber auch noch eine Plastik, die diese scheinbar Welten auseinanderliegenden Themen zusammenschweißt. „Die christliche Mythologie rankt viele Geschichten um das ungleiche Paar.“Da gibt es die Legende von einem Bischof von Santiago de Compostela, der eine Nacht mit einem Stier eingeschlossen war – und überlebte. Eine andere erzählt von einem Bischof, der durch Willensanstrengung einen Stier in zwei Teile spaltete. So unterschiedlich die Handlung, geht es doch immer um den Triumph des Geistes über die nackte Gewalt. Bei Duttenhoefer ist es ein Pyrrhussieg. Macht strahlen sie aus, seine Bischöfe, aber unter ihrer hochfahrenden Mithra vermodern die Gesichter. Das starre Ornat schenkt den Körpern nicht nur Geschlossenheit, es knebelt sie als sei's ein Kokon.
Der Stier ist aber noch in einer zweiten, reichlich gegensätzlichen Weise in christliches Mythenmaterial verwoben. Er ist nicht nur Symbol für alles Niederzukämpfende, sondern auch Amtsvorgänger Christi: In „heidnischen“Zeiten war der Stier das Opfertier schlechthin, so behauptet das zumindest Duttenhoefer. „Diese Funktion wurde später von Christus übernommen“. Der Bischof hingegen ist der Nachfolger Christi. Christus ist symbolisiert durch den Fisch. Die Bischofsmütze ist ein stilisiertes Fischmaul. Zwei Seiten derselben Sache kämpfen miteinander. Das macht die Auseinandersetzung natürlich gleich um Grade komplexer. Am Ende sind alle am Ende, der Stier in Teile zerborsten, der Bischof versteinert.
Übrigens geht es Duttenhoefer keineswegs um Kirchenkritik im engeren, zeitgeistigen Sinn. Zölibat, Paragraph 218 und dergleichen dürften ihm – eine Mutmaßung – ziemlich wurscht sein. Der Bischof und der Stier, der alte Mann und das Meer, Captain Ahab und Mobby Dick, Michael Koolhas und das Recht, nur eine weitere Geschichte von der gegenseitigen Vernichtung durch Zähigkeit. „Letztendlich sind meine ganzen Arbeiten nichts anderes als eine Fortführung des barocken Memento mori.“
Erstaunlicherweise stoßen die drastischen Hirtendarstellungen auf großes Interesse bei den kirchlichen Würdenträgern. Duttenhoefer ereilen viele kirchliche Porträtaufträge, auch wenn die Ergebnisse – siehe oben – sehr gnadenlos sind. Vielleicht ist die Kirche einfach nur froh, daß sich überhaupt noch jemand für sie interessiert, sie als Thema der Kunst überhaupt noch existiert. Wahrscheinlicher aber, daß es dort doch einige weise, abgeklärte Geister gibt.
Thomas Duttenhoefer zählt übrigens zu den ganz arg dünn gesähten Künstlern, die nicht bauchig-pathetisch über ihre Kunst reden, sondern in nüchternen handwerklichen, technischen, strukturellen Kategorien analysieren. Er verweist auf formale Analogien („dieser Kreis wird wiederaufgenommen in...“) ebenso wie auf Oppositionen, etwa zwischen Kreis und Zacken, Gegenständlichkeit und Abstraktion.
So entzaubert er ganz freiwillig seine ergreifenden Arbeiten. Statt über Tod und Teufel zu philosophieren und Herz auszuschütten, erzählt er lieber understatend die ganz unscheinbare, zufällige Geschichte von der Entdeckung seines Themas: hier ein Krankenhausaufenthalt, eine Beteiligung an einem kirchlichen Wettbewerb, ein Artikel über Toreros, ein paar Studien zu katholischer Mythologie, und schon war der Konnex zwischen Kirche und Stierkampf hergestellt. Über Technik und Semiotik läßt sich reden. Über den Rest sollte man besser schweigen. Das hat Wittgensteinsche Grandezza. „Ich bin Handwerker. Hier diese Mithra. Es macht mir einfach Spaß, das zu machen, sägen, einpassen, schleifen, klammern, verleimen...“
Das Ergebnis: Köpfe in sonderbarem Zwischenstadium zwischen römischen Soldatenhelm und Totenschädel, gestrauchelte Stiere. Die Wirkung: zum Teil Francis Bacon mit anderen Mitteln; Kreatur in geometrische Gerüste gesperrt; alles Individuelle weggewischt als sei's von Lepra zerfressen.
Natürlich besuchte Duttenhoefer Schlachthöfe: „Wie ich dort malte, meinte da ein Schlachter: Nee, so geht das nicht, das da müßte noch länger sein, dann paßt's. Der hat ein genaues Wissen davon gehabt, wie dieses tote Fleisch aussieht.“Die Hochachtung des Handwerkers vor dem Handwerker. „Bacon hat nie einen Schlachthof von innen gesehen. Das sieht man. Lovis Corinth und Chaim Soutine dagegen schon. Letzterer hatte wochenlang einen Kadaver in seinem Atelier hängen.“Manchmal muß man einfach gnadenlos sein. Auch mit sich selbst. bk
Gerhard-Marcks-Haus, 13. August bis 5. Oktober
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