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Der Quotenmann

■ Als Au-Pair-Junge ein Jahr bei einer Familie in Paris – ein Erfahrungsbericht

Mein Entschluß steht fest: Ich will Au-Pair-Junge werden. Die Vermittlungsagentur in Deutschland nimmt es sehr genau: Gesundheitszeugnis, teure beglaubigte Zeugniskopien, noch teurere beglaubigte Übersetzungen derselben und eine zweiseitige Erklärung, warum man für ein Jahr ins Ausland gehen will. Deutsche Gründlichkeit fordert mein ganzes Organisationstalent. Sehen will diese Unterlagen dann in Frankreich aber niemand.

Die ersten Tage in Paris wohne ich in einem konfessionellen Mädchenwohnheim, an das auch eine Au-Pair-Vermittlungsstelle angeschlossen ist. Man zeigt mir ein Fünfbettzimmer im Keller und gibt mir zu verstehen, daß dieses Zimmer, das offiziell als „Jungenzimmer“ fungiert, in der Hauptsaison auch an Mädchen vermietet wird. Wenn aber ein Junge darin schläft, können sich keine weiteren Frauen dazulegen – ich habe kapiert: ich bin zwar akzeptiert, aber nicht willkommen.

Auf Anraten von Freunden suche ich keine Au-Pair-Vollzeitstelle, sondern eine Light-Version, die sich „Zimmer gegen Arbeit“ nennt. Das Problem besteht nicht darin, eine Stelle zu bekommen, sondern eine Familie zu finden, die bereit ist, einen Jungen zu nehmen. Au-Pair ist Frauendomäne. Aber ich habe Glück, in dem großen Zettelkasten auf dem Schreibtisch findet die Vermittlerin, Madame Claudine, eine gute Kundin, die schon häufiger Jungen hatte.

Wir verabreden uns noch am Abend zu einem ersten Kennenlerngespräch, bei dem ich zu meiner Beruhigung feststelle, daß die zu beaufsichtigenden Kids schon Teens von 13 und 15 Jahren sind. Ich soll mich hauptsächlich darum kümmern, daß die Wohnung sauber und der Kühlschrank voll ist. Meine Entscheidung für diese Familie ist definitiv, als ich meine Bleibe für die nächsten Monate sehe: Ich werde nicht in der Wohnung, sondern in einem separaten Einzimmerappartement in der Nähe mit einem faszinierenden Blick über die Stadt wohnen.

Im Laufe der Monate mache ich gehörige Sprachfortschritte. Ist man erst einmal den ganzen Tag von einer Fremdsprache umgeben, angefangen bei Fernsehen und Radio, über Werbeplakate in den Straßen, Zeitungen und Zeitschriften, baut man schnell sein Sprachvermögen aus. Und den Gastkindern ist es eine Freude, mich schnellstmöglich mit den wichtigsten Schimpfwörtern vertraut zu machen. Die Kids haben schon beachtliche Au-Pair-Erfahrungen: Seit ihrer frühen Kindheit haben sie jährlich wechselnde Betreuungspersonen, mit denen sie nach eigener Auskunft mal besser und mal schlechter auskamen. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß sie mich die ersten Tage mit dem Namen ihres letzten Au-Pair-Jungen ansprechen.

Mein größter Kampf: der tägliche Bügelberg. Man soll sich nicht der Illusion hingeben, daß Sozialistenwählerinnen wie meine alleinerziehende Gastmutter die Faltenfreiheit ihrer Klamotten laxer handhaben als konservative Frauen. Alles, außer Slips, muß unter das heiße Eisen. Meine Haßobjekte: ihre Arbeitsblusen, von denen braucht sie als Stewardeß bei Air France jeden Tag ein frisches Exemplar. Im Kampf gegen die zahlreichen Rüschen, beim Stärken der Kragen und Manschetten, sehe ich mich einer Sisyphusarbeit ausgeliefert. Deprimierend nur, daß später von den Blusen lediglich der Kragen zu sehen ist, der Rest verschwindet unter einem Blazer.

Da ich in meinem „Zimmer gegen Arbeit“-Status etwa zwei Stunden am Tag arbeite, bleibt mir genug Zeit, um mich auf die Sprache und das reiche Kulturangebot zu konzentrieren. Arbeitet man als Voll-Au-Pair sechs Stunden am Tag und wohnt dazu womöglich noch außerhalb der Stadt, sind den Freizeitaktivitäten weit engere Grenzen gesetzt. Mein achtmonatiger Aufenthalt jedoch: ein Hit. In jeder Beziehung. Bernhard Hoffmann

Verein für internationale Jugendarbeit,

Uhlandstraße 10, 76135 Karlsruhe,

Tel: 0721-849341

Katholische Mädchensozialarbeit, Karlstr. 40,

79104 Freiburg, Tel.: 0761-200207

Gesellschaft für internationale Jugendkontakte, Oststraße 8–14, 53173 Bonn,

Tel.: 0228-957300

Weitere Infos: Klaus Stefan Becker: „Au- Pair-Handbuch“, interconnection-Verlag;

Marianne Mulder: „Au-Pair in Europa, USA, Kanada und Israel“, Cornelsen-Verlag;

A. Nitschke: „Abenteuer Au-Pair. USA & Europa“, interconnection-Verlag.

Jedes Buch kostet etwa 30 DM.

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