: Über fünf Tonnen Frust
Aus einer Provinzposse in der Uckermark um die Politikaussteiger Reinhard Schult und Karin Dörre wurde blutiger Ernst ■ Aus Fredersdorf Uwe Rada
Zuerst kamen die Kurzgeschorenen vom Dorffest. Dann fuhr ein Pkw vor. Aus dem Auto heraus gab es einige Anweisungen: „Nur provozieren, nicht aufs Grundstück dringen.“ Die etwa 20 Kurzgeschorenen waren betrunken und hörten nicht darauf. Sie kletterten über den Zaun, trafen auf die letzten Gäste einer Geburtstagsfeier und riefen: „Heil Hitler!“ Dann ging alles ganz schnell. Zurück blieben drei Verletzte, eine kaputte Fensterscheibe, Hilflosigkeit und Trotz – der vorläufige Höhepunkt eines zwei Jahre dauernden Konflikts im Dorf.
Der Überfall in der Nacht vom vergangenen Samstag auf Sonntag traf nicht irgendwen. Das Grundstück Dorfstraße 18 in Fredersdorf in der Uckermark gehört zwei Berlinern: dem ehemaligen Abgeordenten des Neuen Forums, Reinhard Schult, und dem ehemaligen Mitglied des PDS-Bundesvorstands, Karin Dörre. Beide hatten sich 1995 im 130-Seelen-Dorf zwischen Angermünde und Prenzlau niedergelassen. Seitdem ist für manche in den umliegenden Dörfern nichts mehr, wie es war.
Auch nicht für Martin Röthke, den Bürgermeister von Fredersdorf. Röthke auf der einen Seite sowie Schult und Dörre auf der anderen verbinde, wie der Bürgermeister sagt, ein schwieriges Verhältnis. Unschuldig daran ist der CDU-Mann Röthke dabei nicht. Zwischen Ostern und Pfingsten diesen Jahres lud er seinen ganzen Frust gegenüber den Berlinern ab – in Form eines fünf Tonnen schweren Findlings, den er in einer Seitengasse neben der „Linde“, der Fredersdorfer Dorfgaststätte, absetzen ließ. „Der Bürgermeister hatte sich Ostern geärgert, weil in der Seitengasse ein paar Autos in der Straße standen“, schrieb Karin Dörre daraufhin in einem Flugblatt an die Dorfbewohner. „Und per Zufall waren es halt unsere Gäste, denen das Ordnungsamt Strafzettel verpaßte, als es kurz vor Pfingsten eine seiner angeblichen regelmäßigen Kontrollen im Dorf machte.“
Seit zwei Jahren ist Karin Dörre die Pächterin der Gaststätte „Zur Linde“. Gewinn wirft die Kneipe mit ihren Öffnungszeiten zwischen 17 und 21 Uhr kaum ab. Als Treffpunkt im ansonsten leergefegt wirkenden Fredersdorf ist sie freilich beliebt. In der „Linde“ werden Neuigkeiten ausgetauscht, die tägliche Ration Schnaps geholt und auch schon mal Weihnachtsfeiern veranstaltet. Für die Kneipenbesucher gehören die „Berliner“ bereits zum Dorfinventar.
Nicht aber für Martin Röthke, den Bürgermeister. Für ihn ist klar: „Frau Dörre verbreitet Halblügen.“ So steht es in seiner Antwort auf dem Flugblatt der Kneipenpächterin. Grund für Röthkes Behauptung: Eine vom Amt Oder/Welse angeordnete Strafandronung wegen des „verwilderten Vorgartens“ sei nicht von ihm, sondern der Amtsverwaltung veranlaßt worden. Für ihn, den Bürgermeister, wäre die Sache mit einer höflichen Aufforderung zur Grundstücksreinigung erledigt gewesen. Reinhard Schult hält dagegen: „Normalerweise klärt man solche Dinge im persönlichen Gespräch.“
Spätestens seit dem Überfall auf das Grundstück von Reinhard Schult und Karin Dörre ist aus der Provinzposse freilich bitterer Ernst geworden. Eigentlich hatte eine Freundin von Dörre und Schult nur ihren Geburtstag feiern wollen. Mitgebracht hatte sie einige AktivistInnen des Infocafés in Angermünde. Den Jugendlichen auf dem wenige hundert Meter entfernt stattfindenden Dorffest blieb die bunte Schar der Geburtstagsgäste offenbar nicht unbemerkt. Für die Jugendlichen aus den Nachbardörfern war deshalb klar: Eine bessere Gelegenheit zum „Zecken klatschen“ würde es sobald nicht mehr geben. Schon Wochen zuvor hatte ein Jugendlicher Dörre bedroht: „Ihr Scheißberliner, euch zünden wir noch mal die Bude überm Kopf an.“
Der Fredersdorfer Bürgermeister will freilich keinen Zusammenhang zwischen Dorffest und Überfall sehen. Überhaupt ist Martin Röthke kein Mann der schnellen Urteile. Bevor er der Presse gegenüber Auskunft gibt, will der hauptberufliche Leiter der Kfz-Zulassungsstelle in Schwedt zunächst einmal den Gemeinderat in Kenntnis setzen. Bei Dörre und Schult hat sich Röthke nach dem Überfall noch nicht informiert. Auch die Polizei will den Überfall nicht „hochspielen“. Nicht hinter jedem Kurzhaarigen, weiß der Pressesprecher des Polizeipräsidiums in Eberswalde, Harald Roeseler, stecke ein Neonazi.
Für Reinhard Schult und Karin Dörre herrscht freilich keine Normalität mehr, sondern angespannter Alltag. Auch wenn einige Jugendliche bereits angekündigt haben, die „Linde“ zu besuchen, „um mal zu gucken, wie die reagieren“, wollen sich die Neu-Fredersdorfer nicht unterkriegen lassen. Vor drei Tagen erst haben Karin Dörre und eine Freundin begonnen, die Kneipe auszuräumen. Die „Linde“ soll freilich nicht geschlossen, sondern renoviert werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen