Das Diktat der Effektivität

■ Lambsdorff will die Bundesländer entmachten

Würde der Verfassungsschutz sein Geschäft mit dem nötigen Ernst betreiben, so stünde uns für den 1997er Bericht eine neue Kategorie ins Haus: die der Standort-Rechtsradikalen. Und unter den neuen Verfassungsfeinden figurierte Otto Graf Lambsdorff an prominenter Stelle. Sein gestriges Interview in der Süddeutschen Zeitung führt konsequent die Pionierarbeit weiter, die vor ein paar Wochen Hans-Olaf Henkel, Präsident des Bundesverbandes der Industrie, mit dem Ziel begonnen hat, die Verfassung der Bundesrepublik den Bedingungen der Globalisierung „anzupassen“.

Im Brennpunkt von Lambsdorffs Attacke steht der Bundesrat und seine Kompetenzen bei der Verabschiedung von Bundesgesetzen. Er plädiert für eine säuberliche Trennung der Gesetzgebungs- und Steuererhebungsbefugnisse zwischen Bund und Ländern bei gleichzeitiger Entmachtung des Bundesrats. Lassen wir einen Augenblick beiseite, wie praktikabel dieser Vorschlag wäre. Stellen wir einfach fest, daß Lambsdorff ein Bundesorgan schwächen will, das die Bundespolitik auf Kompromisse verpflichtet.

Solche Verfahren sind zeitaufwendig, weil es um den Ausgleich zwischen realen Interessengegensätzen geht. Zeitaufwendig ist eben das ganze demokratische und rechtsstaatliche System, von der Bürgerbeteiligung in Planfeststellungsverfahren bis zu Gerichtsentscheidungen, die schon erteilte Genehmigungen für Großprojekte annullieren. Es kostet eben Zeit, auf die Bedürfnisse eines Volkes Rücksicht zu nehmen, das seit je gewohnt ist, in einem vielgestaltigen Gemeinwesen zu leben. Wann immer in Deutschland die Zentralisten kommandierten, sah es schlecht aus für die Demokratie und schließlich auch für die Ökonomie. Lambsdorff und die Seinen aber hängen einem neuen Credo an: Verfassungsfragen sind Standortfragen.

Deutlich wird, was Roman Herzog, übrigens ein überzeugter Föderalist, mit seiner „Ruck-durch-Deutschland- Rede“ angerichtet hat. Nur keine Hemmungen mehr unter der Sonne präsidialen Wohlgefallens und „Schluß mit dem Konsensgesabbel“. Hoffentlich behält ein anderer Großer Vorsitzender diesmal recht, der vor mehr als fünfzig Jahren schrieb: „Der Stein, den sie erhoben, wird auf ihre eigenen Füße fallen.“ Christian Semler

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