piwik no script img

Die Kultur im Gepäck der Heimatlosen

■ Ein Gespräch mit Gabriele Naumann und Dieter Jaenicke vom Internationalen Sommertheater Festival

„Über Grenzen tanzen“. Das ist der Titel, unter dem am Freitag das 14. Internationale Sommertheater Festival auf Kampnagel beginnt. Bis zum 31. August stellen Compagnien aus Australien, Benin, Indien, Indonesien, Frankreich, Pakistan und Taiwan ihre Choreographien vor. Gabriele Naumann und Dieter Jaenicke, künstlerische Leiter des Festivals, über Bewegungen des zeitgenössischen Tanzes.

taz: Mit „Tanz und Migration“haben Sie das Sommertheater dieses Jahr auf ein sehr spezielles Thema begrenzt. Weshalb?

Gabriele Naumann: So speziell ist das Thema nicht. Für uns ist es die Fortführung dessen, was wir seit Jahren versuchen zu initiieren: den Diskurs über Interkulturalität und darüber, was zeitgenössisch ist. Wir wollten immer weg von einer pur westeuropäisch-amerikanischen Perspektive. Auf den Tanz haben wir uns auch ganz bewußt beschränkt, weil Tanz in unseren Breitengraden noch immer eine fast diskriminierte Kunst ist: Die Sprache des Körpers wird anders bewertet als die verbale Sprache.

Sie beziehen sich nicht auf die Internationalität von Tanzcompagnien, sondern auf „Migration als Prozeß“.

Dieter Jaenicke: Nehmen wir Koffi Kôkô. Er wurde in Afrika geboren, emigrierte nach Paris. In seiner Arbeit versucht er, die Erfahrungen in Frankreich mit der Sozialisation in der Heimat zu verbinden.

Begreifen sich die eingeladenen Künstler selbst als Migranten?

Jaenicke: Ich denke allen Künstlern ist sehr bewußt, wie sie sich in der Heimatlosigkeit oder zwischen den Kulturen bewegen. Was sie an Gepäck mitgenommen, was sie abgeworfen haben.

Naumann: Es kommt auf die Wertung des Begriffs Migration an. Im politischen Diskurs wird Migration meist als negativer Prozeß von Unterdrückung und Ausgrenzung gesehen. In unserem Bereich wird sie als Chance begriffen: eine Möglichkeit zur Bereicherung. Die Künstler sind aktiv, nicht reaktiv.

Jaenicke: Uns scheint es in der momentanen krisenhaften Situation, die zu einer Abwehr alles Fremden führt, sehr wichtig, eine Auseinandersetzung mit dem Fremden zuzulassen.

Fast 50 Prozent der Veranstaltungen sind in diesem Jahr Vorträge. Helfen die, Tanz zu verstehen?

Jaenicke: Ich erwarte eher, daß der Tanz das Verständnis der Vorträge erleichtert.

Naumann: Das Rahmenprogramm hat keine didaktische Funktion. Es geht uns darum, den Diskurs über Migration auf eine andere Ebene zu führen, zusätzliche Informationen zu erhalten. Mit dem Institut für Sozialforschung machen wir eine Serie über zeitgenössische Kunst – Wo stehen wir eigentlich? Ein Kulturwissenschaftler bekommt 30 Minuten Zeit, einen Gedanken von vorn bis hinten zu durchleuchten.

Sie wollen mit dem Festival „Zugang zu anderen Entwürfen zeitgenössischen Tanzes“schaffen. Inwieweit kann man überhaupt Zugang zum Fremden haben, inwieweit wird man immer nur staunen?

Jaenicke: Staunen kann was schönes sein, wenn der Mund nicht einfach offen stehen bleibt. Wir wollen den Prozeß zwischen den Kulturen zeigen. Wenn wir das nicht tun, überlassen wir dieses Feld dem Tourismus und dem Fernsehen.

Wird der „Prozeß zwischen den Kulturen“nicht auch in der Kunst vom Westen dominiert?

Jaenicke: Es gibt viele sogenannte interkulturelle Projekte, die mit gutherzigem Anspruch letztlich nichts anderes tun, als das europäische Theater irgendwohin zu exportieren. Das Projekt der Pakistanerin Sheema Kermani und des Franzosen Jean Marc Matos ist ein Gegenbeispiel. Daß nicht in traditionellen Tanzkleidern, sondern in Alltagskleidung getanzt wird, war auch ein Bedürfnis von Sheema. Weil sie selbst versucht, nicht einfach nur nachzutanzen, was seit Jahrtausenden getanzt wird.

Kampnagel ist momentan eine Großbaustelle. Wie soll da Festivalstimmung möglich sein?

Jaenicke: Das Festivalzentrum haben wir vor die Halle 1 verlegt, wo nicht gebaut wird. Es wird Ersatzparkplätze, einen Shuttle-Service und jede Menge Personal geben, das die Leute informiert, tröstet und umleitet.

Naumann: Wir werden uns bemühen, noch mehr Gastgeber zu sein.Fragen: Christiane Kühl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen