: Das Geflimmer gleich hinterm Himmelreich
■ Mit dem „Mobilen Kino Niedersachsen“in Otterndorf/ Detlev Bucks „Männerpension“im Grünen
Der Weg zum Meer führt über Krankenhaus, Puff und Raubüberfall, zumindest für Till Schwaiger im Film „Knockin on heavens door“. In Otterndorf führt der Weg zum Meer die Schleusenstraße entlang, über die Goethestraße drüber, an der Beethovenstraße und dem „Rhodos“vorbei. Viel Hochkultur steckt in den Straßennamen des Ortes. Anderswo kann man sie sich hier auch kaum leisten. Aber manchmal findet sie doch statt – nämlich auf der grünen Wiese – nämlich gleich hinter dem „Himmelreich“. Das ist auch wieder so ein Straßenname, ein Wehmuts-Straßenname. Aber auch ein Zustand. Und der tritt ein, wenn Günter Hoffmann seinen Schraubenschlüssel zückt und damit die Straßenlampen zum Erlöschen bringt – jaja, hier darf man pathetisch sprechen; wenn Bernhard Gorka die 400 Watt Quecksilberdampflampe seines 16mm Bauer Projektors zündet, und Til Schwaiger, nein, nicht das Meer sucht, sondern sich diesmal mit einer Frau zufrieden gibt, der Idiot, und zwar in Detlev Bucks Männerpension.
Oft ist der Dauergrinser umstellt von düsteren Gefängnismauern, dahinter aber rauschen die Kastanienbäume. Die sind jetzt aber nicht auf der Leinwand. Die stehen in Otterndorf. Wenn das Mobile Kino Niedersachsen im Freien flimmert, dann mischen sich Film und Realität. Und zwar oft ganz einträchtig. Denn gerne zeigen der Cineast und Soziologe Bernhard Gorka, der Informatiker, Schraub- und Bastelfreak Peter von Komorowski und die Sozialpädagogin Nicola Schulz-Bödeker Filme aus unterschiedlichen Provinzen; nicht selten ist es die heimische. Wenn dann zum Beispiel in Bucks „Karniggels“die Kühe muhen, dann tun die das tatsächlich auf der Wiese. Und darüber leuchten die Sterne, was sonst.
Eckdaten der Kinogeschichte: 1895 fand die erste öffentliche Filmvorführung im Berliner Wintergarten statt. Aber erst 1904 gab es das erste Kino, in Amiland, natürlich, wo sonst. Dazwischen trieb das Wander- und Jahrmarktskino seine grausig-schönen Stilblüten. 1992 ging das Mobile Kino mit seinem leinwandweißen VW Transporter zum ersten Mal auf Reisen. Back to the roots. Diesen Samstag waren sie also in Otterndorf. Aber das ist jetzt kein Eckdatum der Kinogeschichte mehr. Denn das gut aufeinander eingespielte Trio erledigt im Jahr mittlerweile 230 Filmvorführungen vor circa 12.000 kleinen und großen Besuchern in ähnlich metropolenfernen Orten und Ministädten mit so wunderbaren Namen wie Quakenbrück, Friesoythe und Edewecht. 35.000 Kilometer legt der Kinobus im Jahr zurück.
„Ich glaube, es war an einem Neujahrstag“, meint Komorowsky, da sponn man in einem launigen Moment die Idee vom Wanderkino aus. Vielleicht hatten die drei gerade Wim Wenders „Lauf der Zeit“über einen reisenden Filmprojektorenreparateur gesehen, ein Film, der die Zusammengehörigkeit von Kino und Vagabundieren ein für allemal beweist. Jedenfalls: „Wir haben es uns ganz einfach nett vorgestellt, das Kino in verschlafene Dörfer hineinzutragen. Natürlich war dann alles ganz anders, als man es sich vorgestellt hat. Aber das ist ja immer so. Spaß haben wir jedenfalls immer noch.“Später fielen für das Projekt sogar noch gute Gründe ein, Argumente, mit denen man bei der damals neugekürten niedersächsischen Rot/Grün-Regierung zwecks Unterstützung anklopfen konnte. Zwar gerät durch die allumfassende Verkabelung Deutschlands noch bis zur letzten Sanddüne vor dem Meer jeder Film an jeden Ort. Die Kinokultur aber, dieses staunende, gebannte Schauen im stillen, schwarzen Filmsaalloch, zieht sich zurück, zumindest aus der Provinz. Die – erstaunlicherweise – seit Jahren wieder steigenden Umsätze der Filmindustrie werden in den Multiplexkinos der Metropolen erwirtschaftet. Immer mehr Kinokarten verteilen sich auf immer weniger Filme. Auch hier: kein Stand für den Mittelstand, für das Tante Emma-Kino um die Ecke. Und das Besondere bleibt außen vor.
Für den neuen Dinofilm muß der Otterndorfer nach Cuxhaven fahren. Für „Jenseits der Stille“und alle anderen Filme ohne Schwarzengger&Co. allerdings kann sich der Cuxhavener neuerdings nach Otterndorf bequemen. Möglich macht–s eben das Mobile Kino. Mancher Cuxhavener tut das sogar, meint zumindest Günter Hoffmann, der die Kinoabende in Otterndorf veranstaltet.
An Geld ist er dabei nicht interessiert. Eher daran, daß er bei sich, in seinem Ort, gute Filme sehen kann. Bucht er beim Mobilen Kino eine Indoor-Vorführung zahlt er schlappe 100 Mark. Open air- Veranstaltungen kosten 800 Mark. Und wenn die sich als Renner herausstellen, wie zum Beispiel in Buchholz mit stattlichen 1.000 Besuchern, dann wird es noch ein wenig teurer. Die Unkosten gedeckt sind damit natürlich nicht. Die Landesregierung hilft mit spendablen und natürlich dennoch immer knapp zu knappen 160.000 Mark. Denn der Arbeitsaufwand ist enorm. Einmal Bucks Männerpension heißt zum Beispiel: um 16 Uhr 30 wegfahren aus Oldenburg, dem Hauptquartier, dann zweieinhalb Stunden Aufbau von Leinwand, Tonanlage und Projektor, Aufführungsanfang in die letzten Strahlen des Sonnenuntergangs hinein, Abbau, Ankunft daheim um 2 Uhr 30 nachts. Technische Pannen gibt es so gut wie nicht. Sicherheitshalber ist jede anfällige Gerätschaft doppelt vorhanden. Und für Regenwetter sind zwei kleinere Leinwände für Innenräume immer mit dabei.
Nicht nur um Rettung anspruchsvoller Sehkultur geht es, sondern um Schaffung neuer kultureller Räume. Am liebsten würde das Trio in jedem Ort einen lokalen Filmclub sehen, der selber organisiert. Anspruchsvolle Unterhaltungsfilme haben sich als besonders geeignet für dieses Erschließen neuer Filmfreunde herauskristallisiert. So tourt man im Herbst mit „Jenseits der Stille“, „Knockin on heavens door“, „Der Postmann“und „Unter Freunden“durch je 20 Orte. Besonderen Wert legt das Mobile Kino auf Kinderfilme. Da wird dann nach der Vorführung gealbert, gespielt, gebastelt. Zum Beispiel Drachen. Und die fliegen ab ins Himmelreich. bk
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