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Integrieren statt härter bestrafen

■ Bernd Rein von der Ortsgruppe der „Deutschen Vereinigung für Jugendgerichtshilfe“zur Jugendrandale in Bremen-Kattenturm

Nach den Konflikten zwischen Jugendlichen und Polizisten in Kattenturm wird in der Politik wieder die Frage nach härteren Strafen laut. Wir sprachen über die Konflikte im Stadtteil und über Hintergründe der Kinder- und Jugendkriminalität in Bremen mit Bernd Rein. Er ist Vorsitzender der Bremer Regionalgruppe der „Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfe“. Dort sind 80 Bremer Richter, Polizeibeamte und Staatsanwälte organisiert.

taz: Was ist los in Kattenturm?

Bernd Rein, Vorsitzender der Bremer Regionalgruppe:

Wir haben eine relativ hohe Ausländerdichte in Kattenturm, und die trifft auf die alteingesessenen Kattenturmer, und das führt zu Konflikten. Es war aber eine politische Entscheidung, diese Wohnanlage an der Kattenturmer Heerstraße für libanesische Kurden zur Verfügung zu stellen.

Welchen rechtlichen Status haben die libanesischen Kurden?

Faktum ist, daß diese Gruppe nicht auszuweisen ist – ob sie nun straffällig wird oder nicht. Sie müssen hierbleiben, weil sie staatenlos sind. Auch der Libanon begreift sie als staatenlos. Viele Familien leben von Sozialhilfe, und für Jugendliche ist es schwer, als libanesischer Kurde einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Da kommt erst ein Deutscher, dann ein EG-Angehöriger und so weiter.

Und das sind jetzt die Looser, die sozial ausgegrenzt und deshalb gewalttätig werden?

Es ist nicht das Problem, daß dort viele Ausländer leben. Das Problem ist eher, daß es Schwierigkeiten bei der Integration gibt. Für diese Jugendlichen ist es schwierig, sich in zwei Gesellschaften zurechtzufinden. Und da kommen sie in eine Zerissenheit. Das ist das Problem.

Was sagen Sie zu den letzten Randalen in Kattenturm? Ist das die Spitze des Eisberges, wie viele Medien behaupteten?

Ich kann die konkreten Fälle in Kattenturm nicht so beurteilen. Es ist passiert. Man muß jetzt genauer analysieren, wie es dazu kommen konnte. Das Problem ist eher, daß dieses Thema das Sommerloch füllt und die Medien das Problem dramatisieren. Es gibt Stadtteile, die uns Sorgen bereiten, und dazu gehört auch Kattenturm. Aber das ist eigentlich nichts Neues. Bei den Medien wird aber kriminalisiert, obwohl wir eigentlich gar keine höhere Deliktdichte in der Stadt haben.

150 Jugendliche standen Polizeibeamten gegenüber, und außerdem beschuldigt ein Mädchen einen Polizisten, ihr den Arm gebrochen zu haben. Das nennen Sie nicht dramatisch?

Wenn das so ist, ist das sicherlich dramatisch. Die Jugendlichen werden aber nur noch in Zusammenhang mit Kriminalität wahrgenommen, und das stört mich. Damit tut man den Jugendlichen unrecht, der übergroße Anteil wird gar nicht straffällig. Aber bei den Medien macht das 100 Prozent aus. Von allen Jugenddelikten entfallen aber nur zehn bis 15 Prozent auf Gewaltdelikte.

Das sagt auch der Leiter des Kriminologischen Institutes Niedersachsen, Christian Pfeiffer. Aber mit folgendem Unterschied: Er warnt davor, daß die Täter erstens immer jünger werden und zweitens verstärkt in Gruppen auftreten – wie in Kattenturm.

Die Täter werden tatsächlich jünger. Das ist so, und dieses Problem müssen wir lösen. Wir müssen dieses Problem einfach aufarbeiten, aber da spielen auch die Familien eine große Rolle. Da geht es um den Einfluß von familiären Erziehungsstilen.

Diese Probleme wollen Innensenator Ralf Borttscheller (CDU), aber auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Christian Weber jetzt lieber mit härteren Strafen lösen. Christian Weber fordert Zwangsarbeit für straffällig gewordene ausländische Jugendliche.

Diese Forderungen sind weder besonders neu noch besonders originell. Wir haben das Jugendgerichtsgesetz, und das sieht auch Arbeitsweisungen vor, die seit letztem Jahr auch sozialpädagogisch betreut werden. In Kattenturm haben die libanesischen Kurden ihr eigenes Café mit solchen Arbeitsauflagen aufgebaut und organisiert. Außerdem kann ein Jugendlicher zu bis zu zehn Jahren Jugendhaft verurteilt werden. Da gibt es schon ein ganz weites Instrumentarium.

Weber hat also keine Ahnung?

Ich weiß nicht, ob er keine Ahnung hat. Wer aber glaubt, mit dem Strafgesetz soziale Probleme zu lösen, der erliegt einem Irrglauben. Es macht keinen Sinn, alle Probleme nur auf die Polizei oder Justiz abzuwälzen. Man müßte sie anders lösen. Zum Beispiel, daß alle Jugendlichen Ausbildung und Arbeit bekommen, und darum sollte er sich kümmern.

Sie fordern auch, daß die Probleme vor Ort gelöst werden. In Kattenturm ist aber der Runde Tisch vor Jahren aufgelöst worden. Warum?

Er wurde auf Wunsch des Ortsamtsleiters aufgelöst und in einen Sicherheitsrat umgewandelt. Dabei ist der Runde Tisch mit vielen beteiligten Institutionen aus dem Stadtteil die einzige Möglichkeit zu deeskalieren. Man hätte sich ja durchaus auch im Vorfeld des Volksfestes mal zusammensetzen können. Man ahnte doch, daß etwas passieren könnte. Da hätte man vorher die Eskalation vermeiden können.

Daran müßte doch die Polizei auch ein Interesse haben. Schließlich gibt es anders als in Hamburg in Bremen keine Jugendschutzbeamten in den Stadtteilen.

Ich will es noch einmal sagen: Soziale Probleme sind nicht nur mit Polizei und Justiz zu lösen.

Das ist ja nun grundlegend. Aber die akuten Probleme sind doch da und hier muß man doch Lösungen finden.

Aber das Grundsätzliche ist auch wichtig. Da geht es darum, wie die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik strukturiert sind und welche Rahmenbedingungen vorgehalten werden. Daß für Jugendliche Chancen unterbreitet und Perspektiven eröffnet werden und sie am wirtschaftlichen Prozeß teilhaben können. Die Verweigerung dieser Faktoren ist häufig Nährboden von auffälligen und delinquenten Verhalten. Dies gilt es, gemeinsam zu lösen.

Was und wer bewegt sich nicht?

Viele machen sich beim Amt für Soziale Dienste einen Kopf darum, wie diesem Problem beizukommen ist. Wir haben in Bremen rund 1.000 libanesische Kurden vom Kind bis zum Erwachsenen. Wir wissen schon seit Jahren, daß sie auf Dauer hierbleiben werden. Aber es wurde nie so richtig dafür gesorgt, sie zu integrieren. Zum Beispiel müßte man gezielt Sprachförderung in der Schule anbieten. Aber dafür gibt es wieder kein Geld oder keinen politischen Willen, das umzusetzen. Unter Umständen ist das auch einfach nur lästig.

Was fordert Ihre Vereinigung der Jugendgerichtshelfer?

Wir haben gefordert, daß der jetzt in Pension gehende oberste Jugendbeauftragte der Bremer Polizei so bald wie möglich einen Nachfolger bekommt. Außerdem verlangen wir auch, daß dezentrale Jugendsachbearbeiter der Polizei eingesetzt werden. Wir setzen uns dafür ein, daß die Strafverfahren schneller bearbeitet und entschieden werden. Außerdem fordern wir, daß der Täter-Opfer-Ausgleich qualifiziert und ausgebaut wird.

Warum?

Erziehen kann man nicht durch strafjustizielle Mittel, sondern man wird immer personengebunden eine Entscheidung treffen müssen, die zweckmäßig, notwendig und wirkungsvoll ist, und nicht durch welche, die sich durch Alltagstheorien bestätigen lassen. Leider werden wir uns aber von der Illusion einer friedfertigen Gesellschaft verabschieden müssen. Gewalt und Konflikte wird es in dieser Gesellschaft immer geben.

Fragen: Katja Ubben

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