: Die Warnungen der Gefräßigen
Das Scheibenschießen auf Italiens ehemaligen Korruptionsermittler Antonio Di Pietro ist ein Lehrbeispiel für die Rache des Machtkartells ■ Aus Rom Werner Raith
Daß sie den Mann unterschätzt hatten, dafür könnten sich Italiens ehemals Gewaltige noch heute ins Hinterteil beißen. Um so entschlossener wollten sie ihre Rache demonstrieren: daß Antonio Di Pietro, ein damals gerade 40 Jahre alter Bauernsohn aus den Abruzzen, Gastarbeiter in Deutschland, dann Polizist, dann Staatsanwalt, daß dieser Bursche das kunstvoll gewachsene Korruptionssystem Italiens einreißen konnte, will ihnen noch heute nicht in den Sinn.
Inmitten eines hochspezialisierten Teams von Ermittlungsrichtern brachte es der Mann fertig, selbst die übelsten Winkeladvokaten auszubremsen. Mit einer Reihe schlitzohriger, aber durchaus legaler Kunstgriffe setzte Di Pietro an der mittleren Ebene der Korruption an. Er nahm zuerst nicht die Geschmierten fest, sondern die Schmiergeldzahler – die darob meist schnell weitere Fälle zugaben. Dann hängte er den Beamten und Politikern nicht nur illegale Parteienfinanzierung an – was in der Regel in Selbstamnestie der Politiker endet –, sondern Erpressung und Hehlerei. Wenn Beamte und Politiker Aufträge von Schmiergeldern abhängig machen und dem Antragsteller gar nichts übrigbleibt, als zu zahlen, ist dies Erpressung. Bei der nachfolgenden Verschleierung der Herkunft der Gelder liegt dann Hehlerei vor. Delikte, die man nicht einfach wegamnestieren kann.
Bereits im Dezember 1994, eineinhalb Jahre nach seinem ersten spektakulären Fall in Mailand, legte Di Pietro sein Amt nieder – ständiger Druck seiner Feinde, aber auch die allzu hohe Erwartung seiner Freunde hatten an seinen Nerven gezehrt. Glauben will ihm das bis heute jedoch niemand. Er sei ein Ehrgeizling, der in die Politik wolle, hieß es. Doch tatsächlich wollte Di Pietro – er kannte schließlich seine „Opfer“ – erst einmal abwarten, wie sich das Machtkartell an ihm rächen wollte.
Begonnen hatte das Scheibenschießen bereits 1993. Da hatte der damalige Chef der Sozialisten und zweimalige Ministerpräsident Bettino Craxi – der Di Pietros wegen bereits neun Jahre rechtskräftig aufgebrummt bekommen hat – von „bösen Erkenntnissen über den Mann“ schwadroniert. Am Ende waren das aber nur ein paar „Frauengeschichten“. 1994 mußte die gesamte politische Führungselite Italiens abtreten, viele Topmanager kamen vor Gericht.
Doch während letztere Di Pietro als eine Art Erneuerer begriffen, der ihnen die gefräßigen Politiker vom Leibe halten mochte, trat mit dem Mailänder Medientycoon Silvio Berlusconi ein enger Freund Craxis und selbst im Fadenkreuz Di Pietros gelandeter Parvenü in die Politik ein. Keine Woche verging in Berlusconis Blättern ohne „Enthüllungen“ über Di Pietro. Gerettet hat ihn bisher offenbar nur die immer wieder mal gestreute Absicht, eine eigene populistische Bewegung zu gründen. Selbst Berlusconi wurde von seinen Ratgebern während seiner Regierungsbildung 1994 gedrängt, den Mann ins Kabinett aufzunehmen. Bei der ersten Mitte- links-Regierung übernahm Di Pietro dann ein Ministerium – und warf hin, als neue „Enthüllungen“ lanciert wurden und die entschiedene Solidarität seiner Kabinettskollegen ausblieb.
Aus allen Verfahren, die eifrige Staatsanwälte gegen ihn anstrengten, ist Di Pietro bisher unbescholten hervorgegangen, und längst haben auch seine rachedürstigen Feinde aufgegeben. „Doch um einen Menschen fertigzumachen“, sagt Gherardo Colombo, Exkollege im Ermittlerteam, „reicht es, ihn immer wieder zum Gegenstand von Verdächtigungen zu machen. Denen müssen die Ermittler nachgehen, und das kostet ihn nicht nur unendlich viel Zeit, Geld und auch Nerven, sondern läßt auch die Hoffnung aufkommen, irgendwann bleibe doch etwas hängen.“
So ist der Schritt Di Pietros, nun doch in die Politik zu gehen – er kandidiert im Herbst bei einer Nachwahl in Florenz für Mitte- Links –, das einzig ihm noch verbliebene Abwehrmittel: zu testen, wie weit die Bürger Italiens zu ihrem David stehen, der einst die mächtigen Goliaths besiegt hatte.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen