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Auf die Flut folgt die Schlammschlacht

Mit der Hochwasserkatastrophe wird in Polen Wahlkampf gemacht. Das ehemalige KP-Blatt hat endlich die Schuldigen gefunden: Das rechte Oppositionsbündnis der Solidarność  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

Der Wahlkampf in Polen hat bereits begonnen. Eine Schlammschlacht sondergleichen kündigt sich an. Dabei treibt die Suche nach den Schuldigen für die Hochwasserkatastrophe in Süd- und Westpolen seltsame Blüten. Nicht etwa die Regierung sei für die Fehler der letzten Wochen verantwortlich, schreibt die Zeitung Trybuna, das ehemalige Parteiblatt der polnischen Kommunisten. Nein, der eigentliche Schuldige sei die rechte Oppostion, genauer das Parteienbündnis Wahlaktion Solidarność (AWS). Sie habe eine Verschwörung angezettelt.

„Andrzej K. ist einer von jenen“, schreibt die Trybuna, „die nach Niederschlesien fahren sollen, um dort die Hilfe für die Hochwasseropfer zu verzögern und die Maßnahmen der Regierung und Verwaltung zu sabotieren.“ Andrzej K., ein „Kollege“ des Trybuna- Redakteurs und zugleich „Solidarność-Aktivist“ in Danzig, habe sein Wissen „aus moralischen Gründen“ nicht für sich behalten wollen und dem überraschten Redakteur das ganze Ausmaß der Sabotage aufgedeckt.

Die Verschwörung gegen die Regierung sei von langer Hand vorbereitet worden, generalstabsmäßig und perfekt. Dann sei Marian Kraklewski, Chef der Gewerkschaft Solidarność und der Wahlaktion Solidarność, die zu den Wahlen im September antreten wird, in den Urlaub nach Italien entschwunden. Die Danziger Solidarność-Aktivisten hingegen hätten in der „Sondermission Niederschlesien“ ihre Kollegen in den Bezirks- und Bürgermeisterämtern davon überzeugt, die Hochwasserkatastrophe für den Wahlkampf auszunutzen.

Die Flutopfer sollten am eigenen Leib spüren, wie unfähig die Regierung sei, so daß sie bei den Wahlen im September ihre Stimme der AWS geben. Die Hilfsgelder sollten verspätet ausgezahlt werden, die ganze Hilfsaktion möglichst chaotisch wirken, die Verantwortlichen kopflos und arrogant dazu.

In die Verschwörung miteinbezogen wurden natürlich auch die Medien, schreibt Aleksander Frydrychowicz von der Trybuna. Sie sollten das „künstliche Chaos“ in Bilder umsetzen und im Fernsehen zeigen. Auch Rundfunk- und Pressejorunalisten seien für dieses Zwecke eingespannt worden. Ausgesprochen ungünstig für die Anti- Regierungs-Propaganda sei gewesen, als die Deutschen auf das Hochwasser auf ihrer Oder-Seite genauso kopflos und unfähig reagierten wie die Verantwortlichen in Polen.

Doch auch hier habe der „Krisenstab“ Krzyklewskis bereits einen Plan ausgearbeitet. Demnächst solle in Schlesien gestreikt werden. Darüber hinaus würde im Lech-Walesa-Institut kompromittierendes Material über die Regierung vorbereitet. Insbesondere Dossiers über die skandalösen Machenschaften des ehemaligen Privatisierungsministeriums sollten der Regierung schaden. Hilfe bekäme die AWS von ehemaligen Mitarbeitern des Geheimdienstes, die die „richtigen“ Akten in den polnischen Stasi-Archiven kennen würden.

Inzwischen hat die AWS nicht nur öffentlich gegen die von der Trybuna erhobenen „Verschwörungs“-Vorwürfe protestiert, die Gewerkschaft Solidarność fordert darüber hinaus 100.000 Zloty (umgerechnet rund 54.000 Mark) von der „sozialdemokratischen Zeitung“. Darüber hinaus hat sie ihren Mitgliedern verboten, Redakteuren der Trybuna Interviews zu geben.

Schon am nächsten Tag hieß es in einem Kommentar der Zeitung: „Es ist naiv zu denken, daß wir nicht die Informationen bekommen könnten, die uns interessieren. Was wir wissen wollen, werden wir erfahren, auch ohne die Gnade des Pressesprechers oder eines anderen AWS-Funktionärs.“ Reagiert hat mittlerweile auch Adam Michnik, der Herausgeber und Chefredakteur der größten polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza: „Der Glaube an die Weltverschwörung geheimer Mächte ist unsterblich. Die Schuldigen sind entweder die Freimaurer, Juden oder auch mal die Radfahrer. Die Trybuna glaubt schon nicht mehr an die Kartoffelkäfer und die Fühlhörner des CIA, dafür aber an den genialisch-machiavellischen Geist des Marian Kraklewski, der die Hilfe für die Hochwasseropfer blockiert und alle Medien (außer der Trybuna) lenkt.“

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