piwik no script img

Malen gegen das Vergessen

■ Der Ruhrgebietsmaler Alfred Schmidt porträtiert Arbeiter der Bremer Vulkan kurz vor Schließung der Werfttore in Vegesack

Morgen schließt die Vulkan-Werft in Vegesack für immer die Tore. Mit der Fertigstellung des Containerfrachters 111 werden zugleich die verbliebenen 600 von zuletzt 1900 Beschäftigten entlassen.

Mit dem morgigen Tag endet auch die Arbeit von Alfred Schmidt. Der gebürtige Gelsenkirchener ist seit vier Monaten Gast der Werft, um das Schicksal der vom Vulkan-Konkurs betroffenen MitarbeiterInnen auf eine ganz eigene Art zu begleiten. Alfred Schmidt ist Maler. Seine Modelle sind die Werftarbeiter, mithin die Menschen und deren Berufe, die es in Zukunft in Vegesack nicht mehr geben wird.

Seit 1975 porträtiert Schmidt Menschen, die in der Schwerindustrie beschäftigt sind. Waren es zu Beginn vor allem Ruhrgebietsbergleute bei der Arbeit, gesellten sich im Laufe der Jahre Stahlkocher und Schweißer hinzu und nun die Schiffbauer der Vulkan-Werft. Zunehmend gewinnt seine Arbeit die Aura des Musealen - die Welt, mit der Schmidt sich beschäftigt, verschwindet in rasender Geschwindigkeit aus dem Panorama der deutschen Industrielandschaft.

24 Männer, vom Stahlbauer bis zum Matrosen, hat Schmidt gezeichnet. Vier Porträts hat er, versehen mit kurzen biographischen Notizen, auf Postkarten gedruckt und in hoher Auflage an die Belegschaft und die BewohnerInnen Vegesacks verteilt. Durch das Verschicken der Karten, unter anderem an die Adressen der EntscheidungsträgerInnen im Land, erhofft er sich mehr Aufmerksamkeit für die Schicksale der Entlassenen und den Niedergang der „Stätten hochwirksamer Arbeit“. Schmidt bezeichnet sein Projekt als „Kunstaktion gegen Dekultivierung, gesellschaftliche Verarmung und gegen Verfallenheit an ein Denken, das den Menschen unbeachtet läßt.“

Die Schließung der Werft verhindert das nicht. Aber, so hofft er, zumindest wird deutlich, welches enorme Wissen und welche Vielfalt an ArbeiterInnenkultur mit dem dramatischen Verfall des Berg- und Stahlbaus unwiederbringlich verlorengehen. In einer Ausstellung, die voraussichtlich zuerst in Bremen und anschließend in einigen deutschen Großstädten, Dänemark und Schweden zu sehen sein wird, möchte Schmidt 48 Zeichnungen porträtierter Werftarbeiter und Bergleute zeigen. Die BetrachterInnen werden, glaubt Schmidt, durch diese Präsentation erkennen, daß das Schicksal jener Menschen in gewissen Sinn auch das ihre ist. Immer dann, wenn die industriellen Strukturen keinen Gewinn mehr abwürfen, würden sie zerstört und den davon betroffenen Menschen werde unmißverständlich vor Augen geführt, wie überflüssig sie aus dieser Perspektive erscheinen.

„Bis zum bitteren Ende“wollte Alfred Schmidt auf der Werft bleiben und zeichnen, am Tag vor der Schließung seine Postkarten vor dem Bremer Rathaus verteilen. Das hat er nicht geschafft. Aufgrund eines Herzinfarkts, der ihn am Dienstag ereilt hat, liegt Alfred Schmidt auf der Intensivstation des Blumenthaler Krankenhauses. dpa/zott

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen