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Der Trend zum Zweitkind

Die Lebensformen werden wilder. Wessis bekommen entweder gar keine Kinder oder zwei, Ossis eins. Unbezahlte Arbeit übersteigt die bezahlte  ■ Von Ute Scheub

Die Lebensformen in der Bundesrepublik werden immer bunter. Diese subversive Botschaft versteckt sich ausgerechnet in einer Broschüre des Bundesfamilienministeriums, „Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik“. Claudia Nolte, CDU-Ministerin für Ehe und Propaganda, wird's nicht gefreut haben.

Die von der Christdemokratie so heißgeliebte klassische Familie – Mami und Papi ordentlich verheiratet und verkindet – geht immer mehr zurück: 1972 ergingen sich noch 43 Prozent der Bevölkerung in dieser Lebensform, 1994 waren es nur noch 33 Prozent.

Der Anteil der Alleinerziehenden ist in diesem Zeitraum ungefähr konstant geblieben. Stark zugenommen aber hat die Anzahl der wilden Ehen und der Alleinlebenden. Die Zahl der nichtehelich Zusammenlebenden mit und ohne Kinder steigerte sich im früheren Bundesgebiet um 4,3 auf 5,1 Prozent, die der Ein-Personen-Haushalte um 5,6 auf 16 Prozent. Gemeinheit am Rande: Wohn- und Hausgemeinschaften mußten statistisch leider draußen bleiben, ihre Existenz scheint beim Statistischen Bundesamt unbekannt zu sein.

Auch das dürfte Frau Nolte nicht freuen: Die deutsche Frau will nicht mehr gebären. Rein statistisch bekommt jede Frau des Jahrgangs 1960 nur noch 1,63 Kinder. Deutschland gehört in Europa zu den Ländern mit der geringsten Geburtenrate. Logisch also, daß auch der Anteil der Ehen ohne im Haushalt lebende Kinder im Vergleich zu 1972 zumindest leicht anstieg, um 1,7 auf 27,2 Prozent.

Rechnet man das ehemalige DDR-Gebiet noch hinzu, werden die Verhältnisse noch bunter und die Zahlen noch drastischer. 42 Prozent der ostdeutschen Kinder werden dort nichtehelich geboren. Allerdings erleben schätzungsweise 40 Prozent davon später die Heirat ihrer Eltern. Fast jedes vierte Kind unter drei Jahren hat ledige Eltern, aber je älter es wird, desto verheirateter sind sie. Oder, einfacher ausgedrückt: In Ostdeutschland heiraten Paare oft erst, nachdem sie Eltern geworden sind. Auch die Quote der Alleinerziehenden ist im Osten höher als im Westen (16 Prozent im Vergleich zu 9 Prozent). Die bürgerliche Kleinfamilie ist also kräftig am Schwinden: Lebten 1971 im früheren Bundesgebiet noch 93,4 aller Kinder in solchen Verhältnissen, waren es 1995 in Westdeutschland nur noch 86,9 und im gottlosen Ostdeutschland sogar nur noch 76,6 Prozent.

Ost und West unterscheiden sich auch in anderen Details. Westdeutsche Frauen und Männer bekommen verstärkt entweder gar kein Kind oder mindestens zwei. Nur 17 Prozent der Wessi-Kinder im Alter von 6 bis 9 waren Einzelkinder, Tendenz abnehmend. Der oft beschworene Trend zur Ein- Kind-Familie ist also ein Mythos. Ostdeutsche Paare hingegen blieben in der Vergangenheit zwar seltener kinderlos, beschränkten sich aber stärker auf ein Kind. 27 Prozent der sechs- bis neunjährigen Ossi-Kids hatten 1995 keine Geschwister, Tendenz zunehmend.

Auch bei der Erwerbstätigkeit der Mütter gibt es drastische Ost- West-Unterschiede. Obwohl es in Ostdeutschland immer weniger Jobs gibt, sind die Ost-Muttis in allen Altersphasen ihrer Kinder immer noch weit häufiger erwerbstätig – meistens sogar ganztags – als die West-Mamis. In Ostdeutschland hatten 57 Prozent aller Sechs- bis Vierzehnjährigen eine vollerwerbstätige Mutter im Jahre 1995, in Westdeutschland nur 16 Prozent. Arbeitslosigkeit hin, konservative Wende her: Die Erwerbsneigung ist den Ost-Frauen nicht mehr auszutreiben.

Die typische West-Mami hingegen findet sich damit ab, Zuverdienerin zu sein: Ihre Emanzipation ist auf halbem Wege steckengeblieben. In den westlichen Bundesländern ist die Erwerbsquote von Müttern schulpflichtiger Kinder in den letzten Jahrzehnten zwar angestiegen, von 44 Prozent 1972 auf 61 Prozent 1995. Dieser Anstieg beinhaltet jedoch ausschließlich Teilzeitarbeit. Die Vollzeit-Erwerbsarbeit ist sogar leicht gesunken (21 Prozent 1972, 20 Prozent 1995).

Nach wie vor sind es die Frauen, die Familie und Haushalt zusammenhalten: Im Westen nichts Neues, im Osten auch nicht. Bei den Vätern nämlich gibt es nahezu keine Ost-West-Unterschiede. Nach einem anderen vom Bundesfamilienministerium veröffentlichten Bericht, der repräsentativen Zeitbudgeterhebung „Zeit im Blickfeld“, sind die deutschen Frauen durchschnittlich 35 Stunden in der Woche mit hauswirtschaftlichen, handwerklichen, pflegerischen und ehrenamtlichen Tätigkeiten beschäftigt. Männer bringen es hier auf nur gut 19 Stunden. Exakt umgekehrt ist das Verhältnis bei der Erwerbsarbeit: Männer sind wöchentlich durchschnittlich 31 Stunden und Frauen nur 15 Stunden erwerbstätig.

Wenn diese unbezahlte Arbeit entlohnt würde – nach dem gängigen Lohn einer Haushälterin oder nach dem Durchschnittslohn aller Beschäftigten –, käme man allein für die alten Bundesländer auf einen Wert von 1,9 bis 2,8 Billionen Mark. Das ist weitaus mehr als die Summe aller Löhne und Gehälter des Jahres 1992 (in Westdeutschland rund 1,2 Billionen Mark). Kein Wunder also, daß die Hausfrau erfunden wurde.

Denn: Am meisten unbezahlte Arbeit leisten verheiratete Frauen mit Kindern (täglich 6 Stunden, 53 Minuten). Er folgen die Ehefrauen ohne Kinder (5 Stunden, 19 Minuten), Alleinerziehende (5 Stunden, 13 Minuten) und allein lebende Frauen (4 Stunden, 38 Minuten). Die Faulsten sind nicht etwa die Kinderlosen, sondern die Ehemänner mit Kindern (3 Stunden, 2 Minuten)! Die allein lebenden Männer (3 Stunden, 3 Minuten) und die Ehemänner ohne Kinder (3 Stunden, 25 Minuten) folgen erst an zweiter und dritter Stelle.

Und die allerfaulsten sind die westdeutschen Ehegesponse. Ossi- Männer leisten täglich 16 Minuten mehr unbezahlte Arbeit als ihre westdeutschen Geschlechtsgenossen, ostdeutsche Frauen 10 Minuten weniger als westdeutsche. Dafür ist wohl die in der DDR ausgeprägte Do-it-yourself-Bewegung verantwortlich, in deren Tradition die Männer noch heute werkeln und basteln. Beim Wäschewaschen und Windelwechseln hingegen sind die Ossi-Männer kein Deut mehr engagiert. Auch in der Ex-DDR leisten die Frauen mit 4 Stunden, 52 Minuten unbezahlter Arbeit täglich wesentlich mehr als die Männer mit 3 Stunden.

Wenn die Mütter erwerbstätig sind, steigt das zeitliche Engagement der Väter keineswegs an. Im statistischen Durchschnitt ist ein solcher Papi täglich 3 Stunden unbezahlt tätig: 1 Stunde, 32 Minuten gehen für Hausarbeit und Handwerkeleien drauf und gerade mal 31 Minuten für die Kinderbetreuung. Mami hingegen ist 5 Stunden, 31 Minuten rührig: 3 Stunden, 59 Minuten im Haushalt und 1 Stunde, 4 Minuten für die Kinder. Fazit: Das weibliche Geschlecht leistet in jedem Lebensalter mehr unbezahlte Arbeit als das männliche. Und was lernen wir daraus? Nichts, mal wieder gar nichts.

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